Helga Schubert hat ihrem Mann versprochen, dass er zu Hause bleiben kann. Und dass er zu Hause sterben kann. «Dieses Versprechen werde ich auch halten», erklärt sie. «Solange er noch hier ist, will ich es ihm so schön wie möglich machen. Er soll sich abends auf den nächsten Tag freuen können.»
Die deutsche Schriftstellerin ist 83. Ihr Mann ist deutlich älter: 96 Jahre alt, schwer herz- und nierenkrank, dement und pflegebedürftig. Die Autorin sorgt rund um die Uhr für ihn.
Ihr Tag beginnt damit, dass sie den Bettbeutel seines Blasenkatheters leert und nachschaut, ob seine Windel nass ist. Zum Schreiben kommt sie nur nachts.
Liebe und Überforderung zugleich
Nun hat die Autorin eine Erzählung über ihren kräftezehrenden Pflegealltag verfasst. Mit «Der heutige Tag» beweist Helga Schubert einmal mehr, was für eine herausragende Erzählerin sie ist. Es gelingt ihr, mit ihren Worten unglaublich zu berühren – ohne den leisesten Hauch von Kitsch.
In mal längeren, mal kürzeren Kapiteln erinnert sie sich daran, wie sie ihren Mann vor über 60 Jahren kennengelernt hat. Sie blickt zurück auf ihre glückliche Ehe, um dann immer wieder bei ihrer jetzigen Situation anzukommen, in der sie ihren Mann, wenn er fällt, irgendwie zurück in den Rollstuhl hieven muss.
Nie kann sie einfach mal so das Haus verlassen. Will sie eine Lesung halten, bedeutet es enormen Aufwand, jemanden zu finden, der sie ablöst. Denn das Paar lebt sehr abgeschieden in einem Dorf in Norddeutschland.
Schubert legt in ihrem Buch offen, wie kräftezehrend dieser Alltag für sie ist. Gleichzeitig ist die Erzählung aber alles andere als deprimierend. Sie ist durchzogen von der Liebe und der Achtung, die die Autorin für ihren Mann empfindet. Und von der Dankbarkeit über die schöne, lange Zeit, die sie miteinander hatten.
Zusammen in einer anderen Welt
Zudem beschreibt Helga Schubert auch viele komische Situationen. Etwa, wenn sie sich darauf einlässt, im Februar Weihnachten zu feiern, weil ihr Mann der festen Überzeugung ist, dass Heiligabend sei.
«Für mich ist es schwer auszuhalten, dass er immer öfter in eine andere Welt abdriftet», erklärt Schubert. «Aber ich versuche nicht mehr, dagegen anzukämpfen, sondern ihm dahin zu folgen.»
«Der, den ich liebe»
Ihr Mann war einst als Professor für klinische Psychologie tätig. Später hat er sein Hobby, die Malerei, zum Beruf gemacht und fast 1400 Bilder gemalt.
Im Buch nennt Helga Schubert ihren Mann an keiner Stelle bei seinem richtigen Namen. Stattdessen hat sie sich einen ausgedacht: Derden. Das stehe für «der, den … ich liebe», erklärt sie. «Ich musste einen Namen erfinden, um auf Distanz zu meiner Situation gehen zu können. Nur so konnte ich das Ganze erzählbar machen.»
Ein poetischer Abschied
«Der heutige Tag» ist eine Liebeserklärung an den Partner. Ein poetisches Abschiednehmen.«Ein bisschen Sahnejoghurt im Schatten, eine Amsel singt, Stille. So darf ein Leben doch ausatmen», schreibt Schubert.
Sie hat ihr Buch «Der heutige Tag» genannt, weil sie sich bloss noch aufs Hier und Jetzt konzentriert. Nur der Moment zählt. Denn am nächsten Tag kann alles anders sein.