Von Liebeskummer über Platz-, Konflikt- und Flugangst bis hin zu peinlichen Kindheitserlebnissen: Die Geschichten der 49-jährigen Mariana Leky sprühen nur so vor augenzwinkerndem Humor. Selbst dann, wenn die Thematik eine ernste ist, etwa, weil es um die Angst vor einer schweren Krankheit geht.
Da ist dieser gewisse «Mariana Leky-Ton», den man bereits aus ihrem Bestseller «Was man von hier aus sehen kann» kennt. Ein Sound, der beim Lesen verzaubert. Und immer fragt man sich: Wie macht die Schriftstellerin das nur?
Alltag im Mietshaus
In ihrem neuen Buch «Kummer aller Art» versammelt die Autorin Kolumnen, die zuvor in der Zeitschrift «Psychologie heute» erschienen sind. Es sind Alltagsgeschichten, erzählt von einer Ich-Erzählerin, die in einem Berliner Mietshaus wohnt und das Leben der Menschen um sie herum beobachtet, begleitet und festhält.
Da ist beispielsweise der Nachbar Herr Pohl, der unter Platzangst leidet und sich die Wohnung mit seinem Hund Lori teilt, einem Zwergpinschermischling. Da ist Frau Wiese, die schlecht schläft und sich eines Tages in Herrn Schnepp verliebt, den neuen Mieter des Hauses.
Da ist aber auch Ulrich, der Onkel der Ich-Erzählerin, der früher Psychoanalytiker war. Oder ihre Patentochter Lisa, die ihren Liebeskummer einfach nicht vergessen kann. Man glaubt fast, dass Mariana Leky das alles selbst erlebt hat, so lebendig und liebevoll zeichnet sie ihre Figuren.
Kummer gehört dazu
Die Geschichten trösten auf wunderbare Art, ohne den Kummer im Leben zu banalisieren. «Jedes Gefühl muss irgendwie durchempfunden werden», findet die Autorin. Ihrer Meinung nach gehört es zum Standard-Programm, auch einmal Kummer zu verspüren.
Ein Podcast über Bücher und die Welten, die sie uns eröffnen. Alle zwei Wochen tauchen wir im Duo in eine Neuerscheinung ein, spüren Themen, Figuren und Sprache nach und folgen den Gedanken, welche die Lektüre auslöst. Dazu sprechen wir mit der Autorin oder dem Autor und holen zusätzliche Stimmen zu den Fragen ein, die uns beim Lesen umgetrieben haben. Lesen heisst entdecken. Mit den Hosts Franziska Hirsbrunner/Katja Schönherr, Jennifer Khakshouri/Michael Luisier und Felix Münger/Simon Leuthold. Mehr Infos: www.srf.ch/literatur Kontakt: literatur@srf.ch
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In einer der Geschichten landet Onkel Ulrich, der einstige Psychoanalytiker, im Krankenhaus. Dort wird er von Schwester Gertrud betreut:
«In unregelmässigen Abständen stürmt Gertrud herein. Sie ist hervorragend im Losstürmen und in Vollbremsungen. ‹Was habe ich denn?›, fragt Onkel Ulrich Gertrud, und man sieht ihm an, dass er sich fürchtet. ‹Das weiss ich nicht, ich hab ja nicht Medizin studiert›, sagt Gertrud, ‹aber Ihre Angst auch nicht.› Dann stürmt sie wieder heraus.
Wir blicken ihr nach wie einer Erscheinung. Die Angst hat nicht Medizin studiert – allein für diesen Satz möchten wir Gertrud mit einem Verdienstkreuz dekorieren. Angst gibt vor, sich mit allem auszukennen, alles studiert zu haben, aber ihre ganzen Abschlusszeugnisse sind gefälscht.»
Zauberhaft und humorvoll
Die Magie dieses «Mariana-Leky-Tons» liegt in seiner Bildhaftigkeit, die nie daneben liegt und einen immer wieder zum Schmunzeln bringt, weil sie so überraschend und zugleich einleuchtend ist.
Letztendlich ist es «nur» ein Bandscheibenvorfall. Onkel Ulrich ist erleichtert und kann damit fortfahren, den Leuten, die ihn umgeben, beiläufig kleine Diagnosen ihrer Psyche auszustellen. Schwester Gertrud wünscht er zum Abschied «eine sehr glückliche Kindheit». Auch das eine schöne Pointe, die so typisch ist für dieses zauberhafte Buch.
Mariana Leky beruft sich gerne auf den deutschen Schriftsteller Wilhelm Genanzino, der einmal sagte: «In der Nähe einer Wolldecke wird alles zu ertragen sein.» Das liesse sich auch von ihren Texten sagen. Lekys Geschichten sind wie eine Wolldecke, die man sich umlegt, wenn es im Leben gerade etwas ungemütlich wird.