Ein neues Werk der Bestseller-Autorin Zeruya Shalev liegt seit Kurzem in den Buchläden: «Nicht ich». Der Roman ist allerdings nicht wirklich neu, sondern schon gut 30 Jahre alt. 1993 erschien er erstmals in Israel – auf Hebräisch, der Muttersprache Shalevs.
Das Buch ist Zeruya Shalevs Debütroman. Als er herauskam, erhielt er miserable Kritiken und löste grosses Unverständnis aus. «Diese Reaktionen liessen mich verwundet und verängstigt zurück», schreibt Zeruya Shalev im Vorwort zu der nun veröffentlichten deutschen Übersetzung. «Ich verlor den Glauben nicht allein an das Buch, sondern an mich als Schriftstellerin.»
Miserable Kritiken
Shalev brauchte viele Jahre, um sich von den Reaktionen auf ihren Debütroman zu erholen. Erst jetzt, wo sie eine etablierte Autorin ist, sieht sie sich in der Lage, «ihn als Teil von mir anzunehmen». Deshalb stimmte sie nun einer Übersetzung ins Deutsche zu.
Aber: Woher rührten die vernichtenden Reaktionen, damals in Israel? Das lag zum einen am unkonventionellen Thema: Der Roman handelt von einer Frau, die ihren Mann und ihre kleine Tochter verlässt und ihre Sexualität auslebt, wie es ihr gefällt.
Zum anderen liegt es an der wirren Erzählweise. «Nicht ich» ist in losen Episoden erzählt. Es gibt beim Lesen nichts, woran man sich festhalten könnte – keine nachvollziehbare Handlung, keine Chronologie.
Lebens- und Liebeshunger
Der Roman wirkt wie ein langer Traum ohne Logik. Er ist grotesk, wild, ja, fast manisch und zeugt vom grossen Lebens- und Liebeshunger der Erzählfigur. So schafft sie es beispielsweise nie, ihre Tochter rechtzeitig vom Kindergarten abzuholen. Der Grund: Sie schaut auf dem Weg zum Kindergarten stets bei ihrem Geliebten vorbei.
Von der Betreuerin ihres Kindes auf das Zuspätkommen angesprochen, sagt sie: «Verstehen Sie nicht, es geht hier ums Überleben! Ich schaffe es nicht bis zum Kindergarten, wenn ich nicht vorher den Geliebten ficke.»
Die Ich-Erzählerin steht völlig neben sich. Sie ist unglücklich mit ihrem Leben und lässt ihre Familie deshalb hinter sich.
Doch auch nach dem Verlassen der Familie findet die Erzählerin in «Nicht ich» keine Erfüllung. Ihre Geliebten geben ihr keinen Halt, ihre Eltern auch nicht. Die haben den Namen ihrer Tochter vergessen, und – eine der grössten Absurditäten des Romans – der Vater hat sich in eine Kuckucksuhr verwandelt.
Ungezähmte Erzählweise
Komplizierte Liebes- und Beziehungsverhältnisse sind auch in Shalevs späteren Romanen die bestimmenden Themen. Darin erkennt man die Autorin von Bestsellern wie «Liebesleben», «Mann und Frau» oder «Schicksal» wieder. Von der ungezähmten Erzählweise her aber ist Shalevs Debütroman ganz anders als man es vielleicht erwartet hätte.
Dank dieser Übersetzung kann jetzt also auch das deutschsprachige Lesepublikum nachvollziehen, womit Zeruya Shalevs Schreiben seinen Anfang nahm. Man sollte aber keine stringente, nachvollziehbare Handlung erwarten – sonst wird man sich von diesem Buch überrumpelt fühlen. «Nicht ich» ist ein rauschhafter innerer Monolog.