Der berühmte und streitfreudige Schweizer Journalist und Schriftsteller Niklaus Meienberg hätte heute seinen 80. Geburtstag feiern können.
Mit seinen Texten aus der Schweiz oder aus Frankreich und mit seinen zeitgeschichtlichen Reportagen über «Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.» oder über General Wille und seinen Clan sorgte er für Aufsehen über die Landesgrenzen hinaus.
Heute ist er kaum mehr präsent. Vor allem auch, weil er vielen Menschen immer wieder auf die Füsse trat, sagt SRF-Literaturredaktor Julian Schütt.
SRF: Niklaus Meienberg war in den 1970er- und 1980er-Jahren eine prägende öffentliche Gestalt. Warum ist er heute kaum mehr präsent?
Julian Schütt: In der Frage lauern zwei Vorwürfe. Erstens: Was hat Meienberg falsch gemacht? Zweitens: Was hat der Literaturbetrieb falsch gemacht? Ich erinnere mich, wie Meienberg uns Junge im Literaturbetrieb als viel zu brav und temperiert empfunden hat, während er allen immer wieder ganz empfindlich auf die Füsse trat.
Meienberg hatte seine liebe Mühe mit den «Flachschädeln», wie er sie nannte, die den Literaturbetrieb bestimmten. Ein Teil des Literaturbetriebs zahlte es ihm heim, nach seinem Tod, als er sich nicht mehr wehren konnte. In der neuesten, über 500 seitigen Schweizer Literaturgeschichte aus dem Jahr 2007 wird sein Name nicht ein einziges Mal erwähnt.
Warum ist er auch unter Journalistinnenen und Journalisten in Vergessenheit geraten?
Ich glaube, wer heute so schreibt wie Meienberg, der wäre schnell weg vom Fenster. Es ist im heutigen Journalismus kaum noch möglich oder erwünscht, dass einer sich so total aussetzt, so sehr mitleidet und mithasst. Meienberg musste ja wie ein Schriftsteller von einem Stoff heimgesucht werden. Heute aber ist im Journalismus eher professionelle Sachlichkeit oberstes Gebot.
Ich zweifle, ob unsere politisch korrekte Medienlandschaft ein Temperament wie Meienberg noch dauerhaft aushalten würde.
Meienbergs unbescheidener Anspruch war es, zugleich Literatur, Zeitgeschichte und Journalismus zu schreiben. Er hat die Form der Reportage entsprechend erweitert. Aber so wie er sich selbst aussetzte, setze er auch die dargestellten Personen aus. Und das kam nicht immer gut an. Ich zweifle, ob unsere politisch korrekte Medienlandschaft ein Temperament wie Meienberg noch dauerhaft aushalten würde.
War Meienberg mehr Journalist oder Schriftsteller?
Für mich hat Meienberg einige unvergessliche Texte geschrieben. Und eigentlich ist es egal, ob die nun als Journalismus oder Literatur gehandelt werden. Er hat auf jeden Fall alles, was ein Schriftsteller braucht: Sprachkraft, Phantasie, eigene Zugänge zu Stoffen. Und doch stand er sich als Schriftsteller irgendwie selbst im Weg.
Wie meinen Sie das?
In seinen letzten Wochen suchte er dauernd Gründe, um aufzuhören, und zog über andere Schriftsteller her, statt zur Ruhe zu kommen, die es eben zum Schreiben braucht.
Der junge Peter Weber hatte damals gerade seinen Erstling «Der Wettermacher» fertiggestellt, und ich dachte: Warum will Meienberg partout über diese hochtalentierten Kollegen herziehen, statt sein eigenes, grossartiges Talent als Schriftsteller auszuschöpfen?
Doch eigentlich zog Meienberg da schon über den Schriftsteller in sich selbst her. Und kurz darauf nahm er sich das Leben.
Was müsste der Literaturbetrieb machen, um Niklaus Meienbergs Bücher wieder ins Gespräch zu bringen?
So eine Wiederentdeckung gelingt selten. Aber manchmal liegt es an Banalem: Niklaus Meienberg hat selbst noch darauf gedrängt, dass seine Bücher in preiswerten Taschenbuchausgaben greifbar sind, damit auch Schulklassen und Studierende ihn vermehrt lesen.
Diese Ausgaben hätte man dann mit Anmerkungen versehen sollen. Er ist ja ein Autor wie Heinrich Heine oder Kurt Tucholsky. Ein Autor, der mit Ironie und vielen Anspielungen auf Personen und Zeitereignisse arbeitet.
Einem heutigen Publikum müsste man erklären, was sich alles hinter diesen Anspielungen verbirgt. Erst dann könnte man die ganze satirische und politische Power, die in seinen Texten steckt, wieder präsenter machen.
Das Gespräch führte Caroline Lüchinger.