Der Berner Mundartkünstler Endo Anaconda starb erst 66-jährig an Lungenkrebs. Was machte ihn aus? Worin besteht sein Vermächtnis? Der Schriftsteller Pedro Lenz über den Charme eines Sprachkünstlers, der nur eines nicht konnte: Kompromisse machen.
SRF: Was bedeutet Endo Anaconda für Sie ganz persönlich?
Pedro Lenz: Wenn ich ihn einen Freund nennen würde, wäre das vermutlich etwas zu viel gesagt. Aber es ist nah dran. Künstlerisch war Endo immer eine grosse Inspiration für mich.
Inwiefern?
Er war einer der grössten Schweizer Dichter. Endo traute sich das zu, wozu viele nicht den Mut haben. Nämlich etwas auszuprobieren und dann einfach mal zu schauen, wie es so tut und tönt. Genau wie Kinder das können.
Endo war ein kleiner Bub, was die Sprache betraf. Genau deshalb hat so viel herausgefunden. Wobei ihm auch die Musik dabei half.
Worin liegt die besondere Qualität von Endo Anaconda?
Poetisch gesehen sicher in seiner Unmittelbarkeit. Endo hatte ein unglaubliches Gespür für das Wiederholbare. Für das Gutklingende. Für das Unabgedroschene.
Bei Endo hatte man nie das Gefühl, das habe man schon einmal gehört. Man dachte nie, das ist jetzt Schlager, das ist jetzt Pop. Endo hat uns immer wieder überrascht.
Können Sie das an einem Song, an einer Zeile festmachen?
In einem der neueren Songs will Endo erzählen, dass er zu der alten Garde gehört. Er sagt da, er habe das Mikrofon von Elvis, den Ständer von James Brown und sei im Alter der Rolling Stones. Da hat man in drei Zeilen nicht nur ein frivoles Wortspiel, sondern auch eine höchst präzise Einordnung.
Endo war einer der letzten Instinktkünstler, der einfach seine Kunst machte, ohne sich vorher zu überlegen, was sich wie verkauft.
Oder nehmen wir den berühmten Text über das «Znüni». Alle, die schon in einer Fabrik, auf einer Baustelle oder in einer Werkstatt gearbeitet haben, verstehen, worum es in diesem vermeintlich absurden Text, in diesen scheinbaren banalen Sätzen geht. «Dyr müesst stelle, nid lege / u nächer Rölleli dra.» Da geht doch gleich eine Welt auf. Man muss das nicht erklären. Und doch spürt man genau, wo das hinführt.
Oder wenn Endo «vo Schangau bis Shanghai» singt. Nur schon, wie er mit «Shang» eine Weltstadt in China mit einem kleinen Kaff im hintersten Emmental verbindet, ist fantastisch. Endo bringt das in seinem Kopf zusammen.
War er auf der Bühne eine Kunstfigur – oder war das der echte Endo?
Er war schon sehr authentisch auf der Bühne. Endo kam als junger, wilder Mann in die Schweiz – mit einer gewissen Wut im Ranzen, die von den Internatsschulen in Österreich stammte, wo man ihn geplagt hat. Davon wollte er sich hier befreien.
Anfangs hat er viel ausprobiert. Er stand noch als Andreas Flückiger mit seinen Alpinisten auf der Bühne, und das in einer Zeit, in der alle ein bisschen verlaust aussehen wollten. Endo trug als einziger in der Berner Reitschule einen Anzug, dazu lackierte, zweifarbige, rahmengenähte Lederschuhe, die 300 Franken gekostet haben müssen.
Und wenn er endlich mal eine Gage kriegte, zahlte er damit nicht seine Miete, sondern liess sich einen neues Seidenhemd massschneidern. Endo hatte schon immer die Attitüde eines Künstlers.
Was verliert die Schweiz mit Endo Anaconda?
Einen der letzten Wilden. Einen der letzten Instinktkünstler, der einfach seine Kunst machte, ohne sich vorher zu überlegen, was sich wie verkauft.
Und was ich ganz besonders vermissen werde: Endo kommt eigentlich aus der Lyrikszene. Er schaffte es, den engen Rahmen der Lyrikwelt zu sprengen.
Endo war ja populär, er hat Zehntausende, nein, Hunderttausende von Leuten erreicht. Aber er machte nie Kompromisse in der Kunst. Das ist einmalig.