In den Büchern von Pedro Lenz geht es immer um kleine Welten und vertraute Lebensentwürfe. So auch im neuen Roman «Primitivo». Der Gastarbeiter Primitivo stammt aus Asturien. Er ist Maurer, ein bescheidener Mensch. Um glücklich zu sein, braucht er nichts als ein Buch, ein gutes Gespräch und etwas Wein.
Die Samstage verbringt Primitivo gerne mit seinem Freund Charly, einem 17-jährigen Maurerstift. Unter der Woche mauern sie Seite an Seite, an den Wochenenden diskutieren sie über Gott, Bücher und die Welt.
Der Alte bringt dem Jungen das Leben und die Liebe zur spanischen Dichtkunst bei. Doch dann stirbt Primitivo bei einem Arbeitsunfall.
Ein bewegtes Arbeiterleben
Der Roman beginnt mit Primitivos Unfall und endet mit seiner Beerdigung. Dazwischen lässt Ich-Erzähler Charly Erinnerungen an seinen Freund Revue passieren und verschränkt sein Leben mit Primitivos abenteuerlichen Lebensgeschichte.
Als Kind arbeitete Primitivo in Asturien in den Kohleminen. Als junger Mann kämpfte er im Spanischen Bürgerkrieg für eine bessere Welt. Später verlor er in Uruguay beim Bankencrash sein Erspartes und begegnete gar dem Nazi-Kriegsverbrecher Josef Mengele.
Büezer durch und durch
Das liest sich packend. Pedro Lenz charakterisiert seine Figuren so genau, dass sie zu Persönlichkeiten aus Fleisch und Blut werden. Das liegt zum einen am Oberaargauer Dialekt, der zusätzliche Authentizität schafft, zum anderen an Pedro Lenz’ Schreibstil.
Seine Figuren handeln und sprechen wie im echten Leben. Auch der Schauplatz auf der Baustelle ist so anschaulich beschrieben, dass man sich fast die Zementspritzer aus dem Gesicht wischen muss.
Alltäglich, aber nicht banal
Pedro Lenz ist mit «Primitivo» ein Buch gelungen mit vielen Lebenseinsichten, die auf alltäglichen Beobachtungen, auf Erlebtem und Erfundenem fussen. Das regt zum Nachdenken an, etwa wenn über den Heimatbegriff sinniert wird.
Primitivo träumt nicht von der Heimkehr nach Asturien, denn er ist sich bewusst: «Dä, wo geit, verlüürt sini Heimat. D Heimat chasch mit ere Frou vergliiche, di chasch ou nid eifach hurti vierzg Johr lang verlo und meine, we de vierzg Johr spöter zrüggchiemsch, sig si no die, wo d mou kennt hesch, und si heig uf di gwartet und aus sig no gliich wi ir erschte Verliebtheit.»
Pedro Lenz ist halb Charly, halb Primitivo
«Primitivo» ist reich an autobiografischen Bezügen und lässt einen an der Weltanschauung des Autors teilhaben. Pedro Lenz ist wie Charly in Langenthal aufgewachsen, hat eine spanische Mutter und eine Lehre als Maurer gemacht.
Und vermutlich hat auch er eine Vorliebe für spanische Dichtkunst, wenn er seinen Protagonisten als Kenner der Gedichte von Rafael Alberti, Antonio Machado, oder Miguel Hernández ausweist.
Lenz ist mit «Primitivo» ein warmherziger Arbeiterroman gelungen, der von der Kraft der Bücher und den wirklich wichtigen Dingen im Leben erzählt.