Der österreichische Schriftsteller David Fuchs weiss, wovon er schreibt. Hauptberuflich ist er als Palliativmediziner tätig. Hunderte von Menschen hat er schon beim Sterben begleitet. Dass er den Alltag auf Pflegestationen selbst kennt, spürt man auf jeder Seite seines neuen Romans.
Im kaputtgesparten Heim
«Zwischen Mauern» ist David Fuchs' dritter Roman. Eine der Hauptfiguren heisst Meta, kurz für «Margareta». Eigentlich arbeitet sie in einer Bank. Auf der Suche nach einer sinnstiftenderen Aufgabe hat sie sich beurlauben lassen. Nun will sie in einem Pflegeheim aushelfen – ehrenamtlich.
In dem Heim, das sie aufsucht, kann man Meta gut gebrauchen: Die Einrichtung wurde kaputtgespart. Es gibt kaum noch Personal, alles läuft nur noch im Notbetrieb.
Ein Cognac gegen das Schreien
Meta wird gebeten, sich nachts ans Bett eines gewissen Herrn T. zu setzen. Herr T. ist dement. Er kann nicht mehr sprechen, aber er kann schreien. Sobald es dunkel wird, hallt sein Gebrüll durch das ganze Heim.
Meta soll versuchen, ihn zu beruhigen. Und tatsächlich: Nach und nach, Nacht für Nacht, findet sie heraus, was dem bettlägerigen Mann guttut. Sie liest ihm vor, singt, hält seine Hand. Ab und an gibt sie ihm sogar einen kleinen Schluck Cognac, mit Wasser verdünnt; das mag er besonders.
Wer verdient wie viel Zuwendung?
Meta tut es gut, Herrn T. helfen zu können – bis sie von einem Pfleger mehr über die Geschichte dieses Mannes hört. Dazu nur so viel: Sie erfährt, dass Herr T. zu seinen «aktiven Zeiten» kein allzu liebenswürdiger Mensch war.
Daraufhin beginnt Meta, sich zu fragen, ob Herr T. es überhaupt verdient hat, dass sie sich um ihn kümmert. Dass sie Nacht für Nacht bei ihm sitzt, weil er sonst schreit, während alle anderen deutlich weniger Zuwendung erfahren.
Perspektive eines Pflegers
Metas Hadern mit Herrn T.s Vergangenheit ist ein Handlungsstrang des Romans. Ein weiterer ist die desolate Versorgungslage im Heim, über die David Fuchs aus der Perspektive eines Pflegers schreibt.
Der Pfleger heisst Moses, während seiner Nachtschichten ist er für über 20 bettlägerige Personen zuständig. Mal fällt eine aus dem Bett, mal läuft ein Urinbeutel aus, mal hat jemand Fieber oder Angst. Für alles ist er allein verantwortlich.
Hinzukommt, dass in die Ausstattung seit Jahren nicht mehr investiert wurde. Der Pflegewagen etwa, den Moses über den Gang schiebt, ist alt und klapprig. Eine der Laden springt immer wieder auf, sodass Moses sich daran stösst.
Und so heisst es an einer Stelle: «Würde jemand Moses fragen, gäbe es einen Wagen, mit dem man arbeiten könnte. Und einen zweiten Pfleger im Nachtdienst. Moses fragt aber niemand, dafür gibt es Pflegeschlüssel, Berechnungen und Manager.»
Schweres Thema, leichte Sprache
Trotz des schweren Themas lässt sich «Zwischen Mauern» angenehm leicht lesen. Dieser schwierige Spagat ist David Fuchs gelungen.
Eindrucksvoll schildert er, was es bedeutet, in der Pflege zu arbeiten. Was es bedeutet, Menschen beim Sterben zu begleiten. Und dass eine solche zeitintensive, harte Arbeit auch entsprechend entlohnt werden müsste.