Da sitzt er, in Stockholm, auf einem hellblauen Rokoko-Sessel und kann nicht anders. Pressekonferenz zum Literaturnobelpreis. Peter Handke, der sensible Dichter, hält sich nur mühsam im Zaum. Und dann bricht der Zorn wieder einmal aus ihm heraus.
«Leer und ignorant» seien diese Fragen nach seinen Jugoslawien-Texten. Er murmelt irgendwas von einem Brief mit Toilettenpapier und einer «Kalligraphie der Scheisse», die ihm lieber wäre als diese immergleichen Journalistenfragen.
Dabei ist das noch Handke light. «Ich bin nicht hier, um auf diesen Scheissdreck zu antworten. Verschwinden Sie!» hat er Journalisten schon angeschnauzt. Oder er hat sie aufgefordert, sich ihre Betroffenheit «in den Arsch zu stecken».
Warum er?
Tragisch ist das. Dieser grossartige Schriftsteller kotzt einfach los, sobald ihm kritische Fragen gestellt werden. Fragen, die ihm nicht passen. Fragen, die seine Haltung zu Ex-Jugoslawien, zu Serbien, zum Krieg dort hinterfragen. Tragisch ist das, weil er Bücher geschrieben hat, die man nicht vergisst. Weil er das Theater in den 1960er-Jahren aufgemischt hat wie kein zweiter Autor.
Nicht tragisch, sondern unverständlich, unbegreifbar, ja skandalös ist für Teufika Šabanović und Adnan Mahmutović die Entscheidung der Schwedischen Akademie, Handke den Literatur-Nobelpreis 2019 zu verleihen. Für den Tag des Festakts, den 10. Dezember, wenn König Carl XVI. Gustaf ihm den Nobelpreis überreichen wird, organisieren sie im Zentrum Stockholms eine Demonstration.
Dass jemand, der den Genozid an bosnischen Muslimen in Srebrenica leugnet und relativiert, der auf dem Begräbnis von Serbiens Diktator Slobodan Milošević eine Rede hält, der einen Kriegsverbrecher wie Radovan Karadžić im Gefängnis besucht, mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wird, können sie nicht hinnehmen.
Eine verheerende Ehre
Teufika Šabanovićs Vater wurde in Srebrenica ermordet. «Bis heute konnte ich nur einen Teil seiner sterblichen Überreste bestatten», erzählt sie. «Srebrenica ist ein Teil meiner Identität».
Sie könne es nicht hinnehmen, dass Handke das Massaker relativiere, die Trauer der Frauen von Srebrenica um ihre ermordeten Männer und Söhne, verhöhne. Das sei «als ob unsere Erfahrungen eine Lüge wären und nie wirklich geschehen.»
Adnan Mahmutović ist Associate Professor an der Universität Stockholm und musste wie Teufika Šabanović während des Bosnien-Krieges fliehen. Der Nobelpreis für Handke sei ein verheerendes Zeichen für die Region, erläutert er, wo inzwischen «eine ganze Industrie von literarischen Genozid-Leugnern» entstanden sei. Memoiren, Geschichten, ja sogar Kriminalromane, die nur ein Ziel hätten: die eigene extrem-nationalistische Position zu verstärken, indem die Kriegsgräuel geleugnet werden.
Wenig Erwartungen an Handke
Sie fordern eine Entschuldigung von der Schwedischen Akademie, eine Klarstellung, ein Zeichen, eine Entschuldigung. Von Peter Handke selbst erhoffen sie sich wenig. Sie wissen zu gut, wie er auf Kritik reagiert, wie wenig er verstehen will – und kann.
Denn für ihn ist das alles nur Literatur. Sprache. Er hat damals nur Fragen gestellt, die notwendig waren, in einer Zeit, als alle Welt die Serben verteufelte und zu den Alleinschuldigen an den Kriegen machte. Er konnte nicht anders – und musste Partei ergreifen. Und so sitzt er immer noch da, bei der Pressekonferenz in Stockholm. Ein grimmiger Dichter, allein gegen alle.