Paul Auster gehört zweifellos zu den Weltstars der Gegenwartsliteratur. Immer wieder wurde er als Kandidat für den Nobelpreis gehandelt. Inzwischen ist Auster 76 Jahre alt – und er leidet an Krebs. Das machte seine Frau, die Schriftstellerin Siri Hustvedt, auf Instagram publik. Seit Monaten befinde sich ihr Mann in Behandlung. Noch immer sei er nicht über den Berg.
Austers 18. Roman
Trotz der schweren Krankheit konnte Paul Auster ein weiteres Buch fertigstellen. Es heisst «Baumgartner» und ist sein 18. Roman.
Der Titel des Buchs ist zugleich der Nachname der Hauptfigur. Der 71 Jahre alte emeritierte Philosophie-Professor Seymour Baumgartner lebt in Princeton.
Slapstick-Einstieg
Der Tag, an dem der Roman einsetzt, beginnt wie eine Slapstick-Nummer. Baumgartner verbrennt sich an einem heissen Topf. Mehrmals will er seine Schwester anrufen, aber immer kommt irgendetwas dazwischen. Schliesslich stürzt er die Kellertreppe hinunter und verletzt sich am Knie.
Am Ende dieses Tages sitzt er verzweifelt in der Küche – und starrt auf den versengten Kochtopf, mit dem seine Pechsträhne an diesem Tag begonnen hatte. Dadurch kommt ihm eine Erinnerung an seine Frau Anna ins Gedächtnis. Als junger Student hatte sich Baumgartner diesen Topf in einem Trödelladen gekauft, kurz nachdem er Anna zum ersten Mal begegnet war.
Ein schmerzhafter Erinnerungsprozess
Die beiden wurden ein Paar, ein sehr glückliches sogar – bis Anna vor zehn Jahren bei einem Badeunfall ums Leben kam. Seither trauert Baumgartner um sie. Er spürt einen «Phantomschmerz». Im Buch heisst es: «Er ist ein menschlicher Stumpf, ein halber Mann, der die Hälfte seiner selbst, die ihn zu einem Ganzen machte, verloren hat (…).»
Der Morgen, an dem alles schiefging, setzt bei Baumgartner einen Erinnerungsprozess in Gang. Er denkt an die ersten Jahre mit Anna. Er liest abermals ihre Gedichte und Notizen. Und er versetzt sich in seine Kindheit zurück. In das Aufwachsen mit einem sturen Vater, dessen Eltern aus Osteuropa stammten.
Autobiografische Bezüge
In den vergangenen Jahren hat Paul Auster häufiger autofiktionale oder gar autobiografische Werke geschrieben. Auch in «Baumgartner» finden sich viele Bezüge zu Austers Leben. So stammt etwa Baumgartners Familie aus demselben Dorf in der Westukraine, aus dem auch Austers Verwandtschaft kommt.
Aber: Auch ohne Austers Biografie zu kennen, ist «Baumgartner» eine bereichernde Lektüre. Der alternde Philosoph wächst einem sofort ans Herz. Seine Trauer um Anna ist berührend – genauso wie sein Versuch, seinen letzten Lebensjahren doch noch einen Sinn abzuringen.
Die Frage, was nach dem Tod von einem Menschen bleibt, schwebt über dem ganzen Roman. Es ist kein Wunder, dass Paul Auster dieses Thema beschäftigt – angesichts seiner eigenen schweren Krankheit. Mit diesem Roman konnte er es in Literatur verwandeln.