Den Deutschen Buchpreis 2022 gewinnt ein Roman aus der Schweiz: «Blutbuch» von Kim de l’Horizon – ein Debütroman. Kim de l'Horizon und das «Blutbuch» sind eng miteinander verknüpft.
Wer ist Kim de l’Horizon? Kim ist in Ostermundigen bei Bern aufgewachsen, studierte am Literaturinstitut in Biel sowie in Zürich (Literaturwissenschaft und Geschichte). Kim de l'Horizon ist nicht neu im Literaturbetrieb und schrieb in der letzten Saison für die Bühnen Bern.
«Kim hat einen ausgesprochenen Hang dazu, Geschichten um die eigene Person zu spinnen», sagt SRF-Literaturredaktor Simon Leuthold. So steht in der Biografie von Kim de l'Horizon «Geboren im Jahr 2666 auf Gethen». Gethen ist ein fiktionaler Planet aus einem Science-Fiction-Roman, bewohnt von androgynen Personen. Auch Kim ist non-binär, identifiziert sich also weder als Mann noch als Frau.
Inwiefern spiegelt «Blutbuch» die eigene Geschichte von Kim de l'Horizon? Der Debütroman ist Autofiktion, also Fiktion nahe an der Autobiografie der schreibenden Person. Die Hauptfigur des Romans heisst ebenfalls Kim, ist non-binär und aus Ostermundigen.
Im Roman kämpft Kims Grossmutter mit Demenz. Kim nimmt das zum Anlass, einen Brief an sie zu schreiben.
Was steht im Zentrum des Romans? Der Brief an die «Grossmeer» beginnt mit Erinnerungen an die Kindheit: an die Besuche bei der Grossmutter, die Kim als Kind zwar Angst machte, bei der Kim aber auch eine Zeitlang ungestört Frauenkleider anziehen konnte.
Kim stösst immer weiter in die Familiengeschichte vor, schreibt über Verletzungen, über die kaum gesprochen wurde. Doch das Buch sei noch viel mehr, so Simon Leuthold: «Es gibt immer wieder Brüche in die Realität.» Kim reflektiert das eigene Schreiben, recherchiert. «Es wird deutlich, wie verloren man sich als queere, non-binäre Person im Alltag fühlen muss.»
Kim bezeichnet sich als hypersensibel und flüchtet sich ins Recherchieren der Familiengeschichte oder in gröbere sexuelle Exzesse, welche detailliert geschildert werden.
Für wen ist das Buch? Das Buch ist harte Kost und nichts für Zartbesaitete. Es fordert heraus: «Das Blutbuch» mischt Genres, Formen, Sprachen und Stile und will mehr sein als «nur» ein Roman.
Den Platz auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises habe es sich auf jeden Fall verdient, so Simon Leuthold: «Gerade, weil es literarisch so viel wagt und beim Lesen so viel mit mir gemacht hat. Ich fühlte mich orientierungslos, bevormundet, für dumm verkauft, belächelt, ich musste mir wider Willen Gewalt mitansehen – aber dann gab es auch unglaublich beeindruckende und liebevolle Passagen.»
Viel näher komme man als heterosexueller Mann wohl nicht daran heran, wie sich Queersein im Hier und Jetzt anfühle.