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Roman «Ein simpler Eingriff» Am Hirn herumschnippeln, um happy zu werden?

Yael Inokais Roman «Ein simpler Eingriff» erzählt von einer Hirnchirurgie, die psychisch auffällige Menschen korrigiert. Ein Zwischenruf gegen den Normierungsdruck in der Leistungsgesellschaft.

Sie stammen aus psychiatrischen Kliniken. Aus Gefängnissen. Gelegentlich auch aus gut betuchten Familien. Was sie verbindet: Sie entsprechen nicht der Norm. Sie neigen zur Kriminalität. Sie zeigen tobsüchtiges Verhalten. Oder sie sind schwermütig.

Deshalb werden sie zu Patientinnen und Patienten des fiktiven Spitals, von dem die 33-jährige Schweizer Autorin Yael Inokai in ihrem dritten Roman «Ein simpler Eingriff» erzählt. Das Spital ist darauf spezialisiert, psychisch Abnormes mit einem chirurgischen Eingriff aus dem Gehirn zu entfernen.

«Der Eingriff dauerte nur kurz», erzählt die Hauptfigur, eine junge Krankenschwester mit Namen Meret, die bei den Operationen assistiert. «Der Doktor brauchte lediglich die betroffene Stelle zu finden, dann würde er diese einschläfern, wie ein krankes Tier.»

«Zwei mit Buch» – Der neue Literatur-Podcast

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eine Animation mit Buch und Menschen
Legende: SRF

Ein Podcast über Bücher und die Welten, die sie uns eröffnen: Alle zwei Wochen tauchen wir im Duo in eine Neuerscheinung ein, spüren Themen, Figuren und Sprache nach und folgen den Gedanken, welche die Lektüre auslöst.

Dazu sprechen wir mit der Autorin oder dem Autor und holen zusätzliche Stimmen zu den Fragen ein, die uns beim Lesen umgetrieben haben. Lesen heisst entdecken. Mit den Hosts Nicola Steiner/Franziska Hirsbrunner und Felix Münger/Simon Leuthold

«Normal» werden

Eine simple Operation an der für die Abweichung verantwortlichen Hirnregion. Spätestens nach einer Stunde werden die Behandelten ein «normales Leben» führen können.

Meret hat lange Zeit keinen Grund, an den Segnungen der OP zu zweifeln. Bis zu dem Tag, als der «simple Eingriff» sein Ziel verfehlt und die Patientin invalid wird.

Meret beginnt sich Fragen zu stellen: Wer ist eigentlich «nicht normal»? Die Patientin? Der «Doktor», der sich als Wohltäter versteht? Oder das Spital und damit die Gesellschaft, die ein derartiges Spital zulässt?

Aus der Enge ausbrechen

Für Meret ist der Moment gekommen, sich aus dem starren Spitalsystem zu befreien. Beflügelt wird sie dabei durch die Liebe, die sie zu einer anderen Krankenpflegerin entwickelt. Sie hilft ihr, sich als Frau zu fühlen, nicht nur als ausführende Kraft in einer strengen Hierarchie.

ein schwarz-weiss Foto einer Patientin im Spitalbett
Legende: Symbolbild: In den 1940er- und 1950er-Jahren kamen neue Praktiken in der Psychiatrie auf – etwa fragwürdige Hirnoperationen wie die Lobotomie. KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV

Das dystopisch anmutende Szenario ist im Roman zeitlich nicht genau verortet. Mit Sicherheit jedoch spielt das Buch in der Vergangenheit. Vielleicht in den 1950er-Jahren. Vielleicht in Deutschland oder in der Schweiz.

Auf jeden Fall weckt es Erinnerungen an die Jahrzehnte von den 1930er- bis 1970er-Jahre. An jenes düstere Kapitel der Medizingeschichte, als in vielen Industrieländern Chirurgen psychiatrische Patientinnen und Patienten gleich reihenweise am Gehirn operierten. Sie waren der irrigen Meinung, auf diese Weise zu heilen. In Tat und Wahrheit verstümmelten sie jedoch Zehntausende.

Kaleidoskop der Sichtweisen

Trotz dieser Annonce an die Geschichte ist Yael Inokais Buch mehr als ein historischer Roman. Mindestens so wichtig ist etwa die feinfühlig erzählte Liebesgeschichte.

Auch lässt sich der Roman als Kritik an unserer Gegenwart lesen: das Spital als Sinnbild für unsere auf maximale ökonomische Performance getrimmte Leistungsgesellschaft. Wer sich nicht einfügt, fällt auf. Erregt Misstrauen. Wird zum Sonderling. Und irgendwann zum Fall für Medizin und Psychiatrie.

Buchhinweis

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Yael Inokai: «Ein simpler Eingriff». Hanser Berlin 2022.

«Wir leben in einer kranken Gesellschaft», sagt Yael Inokai. Dies zeige sich in ihren Augen beispielsweise daran, dass viele Menschen auch mit einer 60-Stunden-Woche zu wenig verdienen, um in Würde zu leben. Und als «Working-Poor» an Körper und Seele Schaden nehmen, um dann beim Arzt zu landen.

Auch wenn dieser vielleicht Anti-Depressiva verschreibt, ändert dieser «simple Eingriff» nichts am grundsätzlichen Problem, dessen Wurzeln in den unmenschlichen Strukturen unserer Gesellschaft liegen. Und das komplexere Lösungsstrategien bedürfte.

Yael Inokais Roman lässt ganz unterschiedliche Lesarten zu. Das ist eine seiner Stärken. Er verbindet Historisches mit aktuellen Zeitfragen. Und mit einer zarten Love-Story. Auch bietet das Buch die anrührende Geschichte einer Befreiung aus gesellschaftlichen Zwängen. «Ein simpler Eingriff» auf eine Deutung festlegen zu wollen, wäre zu simpel.

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Radio SRF 2 Kultur, «Zwei mit Buch», 25.02.2022, 14:00

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