Mit knapp 25 verfügt Mina Hava über einen eindrücklichen Bildungsweg. Erst studierte sie am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Dann absolvierte sie an der ETH Zürich ein Studium in Globalgeschichte und Wissenschaftsforschung.
Sie wollte sich zusätzlich zu den literarischen auch mit historischen Texten auseinandersetzen und sich ein analytisches Rüstzeug erwerben.
Allerdings habe sie der Lehrplan oft kalt gelassen, sagt sie. Also begann sie, ihre eigenen Recherchen zu betreiben und parallel zum Studium einen Roman zu schreiben. Dieser, ihr Debüt «Für Seka», erschien gleich beim renommierten Suhrkamp-Verlag.
Ein Roman wie ein Zettelkasten
Das Buch erzählt die Geschichte von Seka, «geboren südlich der Jura-Kette». Sekas Eltern stammen aus Bosnien. Der Vater floh vor dem Krieg zu Beginn der 1990er-Jahre. Die Mutter, Tochter sogenannter «Gastarbeiter», lebte schon länger in der Schweiz.
Die Ehe der Eltern scheitert, vielleicht auch, weil die beiden nicht dieselben Chancen hatten, Fuss zu fassen. Während die Mutter als Jura-Dozentin arbeitet, schlägt sich der Vater mit Hauswartungen durch.
«Für Seka» ist die Geschichte einer Familie, die durch politische und soziale Umstände nirgendwo zu Hause ist. Mina Hava erzählt sie nicht linear. Der Roman kommt wie ein Zettelkasten daher. Er hinterfragt Klischees und Glaubenssätze und bringt mal wohl geordnet, mal wild durcheinander scheinbar Entlegenes zusammen.
Heile Welt hier, Kriegsgräuel dort
Schon im ersten Abschnitt treffen Welten aufeinander. Während Seka in einem Schweizer Hallenbad schwimmen lernt, erscheinen die ersten Berichte zum Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien. Und in Omarska im Norden Bosniens, da, wo ein Teil von Sekas Familie herkommt, werden Massengräber geöffnet.
Kriegsgräuel vermischen sich mit dem Bemühen eines kleinen Mädchens, beim Schwimmenlernen alles richtig zu machen. Es wird zum prinzipiellen Bemühen. Zuschreibungen anderer, aber auch eigene Ansprüche lösen es aus: Als «Fremde» muss man sich anpassen und gleichzeitig besser sein als die anderen.
Recherche im SRF-Archiv
«Für Seka» hat beides im Blick: wie Menschen in der Diaspora auf ihre Heimat blicken und wie in der Fremde mit ihnen umgegangen wird. Mina Hava recherchierte für ihren Roman auch in den SRF-Archiven. Sie wollte wissen, wie Radio und Fernsehen zwischen den 1960er-und 1980er-Jahren über «Gastarbeiter» aus Jugoslawien berichteten.
Sie konstatiert, wie sich ein Vokabular herausbildete, das «fremden» Menschen ihre Rechte und mitunter gar ihr Menschsein absprach. In der öffentlichen Meinung trugen sie nichts zur Gesellschaft, aber alles zur «Überfremdung» bei – und irritieren mit ihren «fremden» Namen bis heute.
Historische Kontinuitäten
Nicht Teil einer Geschichte zu sein, nicht repräsentiert, sondern immer nur taxiert zu werden – dieses Gefühl war ein wichtiger Anstoss für Mina Havas Roman. Es sei ihr darum gegangen, Sichtbarkeit herzustellen.
Bei ihren Recherchen entdeckte Mina Hava quer durch die Zeiten und Welten immer neue Zusammenhänge. So ist «Für Seka» wie ein Steinbruch – gleich der Mine Omarska in Bosnien: Während des Kriegs wurde dort ein Gefangenenlager errichtet. Viele der Toten des ehemaligen Lagers konnten nie geborgen werden. Die Arbeit in der Mine musste weitergehen. Gegen solche Verdrängung und Blindheit schreibt Mina Hava in ihrem Debüt an.