Atommüll als Thema für Literatur? Nicht einmal Max Frisch hat sich das vorstellen können. Annette Hug wagt es trotzdem: Mit «Tiefenlager» legt die Autorin uns einen Roman über das drängende Problem der Endlagerung des Atommülls vor.
Hug erinnert sich, wie 2011 – nach der Nuklearkatastrophe in Fukushima – gefragt wurde, wie es denn wäre, wenn zum Beispiel das Kernkraftwerk Mühleberg hochginge und man Bern evakuieren müsste. Es gab aber keine Evakuationspläne.
Für die Autorin stellt sich da die Frage: «Wollen wir oder können wir uns das nicht vorstellen? Hier fühle ich mich als Autorin herausgefordert», sagt sie.
Wissen sichern, Orden gründen
In ihrem Roman «Tiefenlager» sind die wahren Intellektuellen die Müllfrauen und Müllmänner: Sie kümmern sich um die gefährlichsten Abfälle, die unsere Gesellschaft hinterlässt: den Atommüll.
Um dieses Zukunftsproblem anzupacken, wählen sie einen vermeintlich mittelalterlichen Weg: Sie gründen einen klösterlichen Orden. Dieser erlaubt es ihnen, ruhig und unabhängig nachzudenken. Denn Klöster haben sich als kontemplative Orte bewährt, um Wissen über viele Jahrhunderte hinweg zu konservieren.
Der Atommüll: ein Sprachproblem?
Es ist eine bunte und internationale Truppe, die sich zusammenschliesst. Darunter findet sich eine Krankenpflegerin aus Manila, ein Nuklearphysiker aus der ehemaligen Sowjetunion oder eine französische Sprachgelehrte.
Letztere ist dringend nötig. Denn schon das Deutsch, das vor tausend Jahren gesprochen wurde, verstehen wir kaum noch. Wie stellen wir also sicher, dass Generationen auch Tausende von Jahren später noch erkennen, wie gefährlich die hochaktiven Abfälle sind? Das ist nicht zuletzt ein Sprachproblem.
Lieber verbuddeln und vergessen?
Der Roman ist für Annette Hug eine Form, um Tiefenbohrungen vorzunehmen, um Fragen zu stellen, die man sonst kaum stellt. Auch die Frage, ob beim Atommüll eine «Aus den Augen, aus dem Sinn»-Haltung nicht klüger wäre.
«Die Finnen», so Hug, «wollen jetzt alles gründlich verbuddeln und dann vergessen. Niemand soll ihr Endlager finden. So wollen sie verhindern, dass eine feindliche Macht Missbrauch mit dem Atommüll treiben kann.»
Ein bedenkenswerter Weg, aber in ihrem vielschichtigen und klugen Roman «Tiefenlager» setzt Annette Hug doch auf den alternativen Weg der Aufklärung. Die grösste Gefahr sieht sie in näherer Zukunft im Spardruck: «Man weiss zwar, was die optimalen Sicherheitsvorkehrungen wären, findet aber vielleicht plötzlich, weniger tue es auch, und 200 Jahre später rächt sich das dann.»
Annette Hug betritt in ihrem Buch viel Neuland, das sonst in der Belletristik selten vorkommt. Und wie nebenher gelingt es ihr auch, das etwas verstaubte Genre des politischen Romans neu zu erfinden.