Als der Krieg zu Ende ging, bekam Lotte Schwarz in Zürich ihr erstes Kind. Den Kollegen vom Schweizerischen Sozialarchiv schrieb sie: «Seit 2 Tagen habe ich nun einen Sohn. Er ist nicht sonderlich schön und gleicht eher einem schlecht gelaunten Murmeltier als einem Menschen.»
Sobald sie konnte, war sie zurück bei der Arbeit. Für die Flüchtlinge, die im Sozialarchiv eine temporäre Heimat fanden, war sie weit mehr als nur eine Bibliothekarin. Sie half mit Rat und Tat.
Und jetzt, nach dem Krieg, wo das Ausmass der Nazi-Verbrechen offen lag, hörte sie oft einfach nur zu, «in Scham über das Ungeheuerliche».
Von der Armut in die Aktion
Lotte Schwarz wurde 1910 als Charlotte Benett in der Nähe von Hamburg in eine linke Arbeiterfamilie geboren. Bittere Armut zwang sie, als Dienstmädchen zu arbeiten.
An eine Ausbildung war nicht zu denken. Die Zustände waren unbeschreiblich. Sie kämpfte dagegen an – so, wie sie in der Schweiz später für Frauenrechte kämpfte.
Die grosse 1.-Mai-Demonstration 1930 in Hamburg beeindruckte sie derart, dass sie tags darauf Mitglied der kommunistischen Partei wurde. Typisch für sie: Ins Aufnahmeformular schrieb sie unter «Geworben durch wen?»: «Durch mich selbst.»
Als Kommunistin denunziert
Die Kreise, in denen sie nun verkehrte, boten auch Zugang zu Bildung mit Kursen und Lesegruppen. So bekam Lotte Schwarz als Autodidaktin Arbeit in einer Hamburger Bibliothek.
Später schloss sie sich den «Roten Kämpfern» an, einer kleinen sozialistisch-antistalinistischen Gruppierung, die bald gnadenlos verfolgt wurde. 1934 wurde Lotte Schwarz von einem Arbeitskollegen als Kommunistin denunziert und fristlos entlassen. Die ganze Familie war nun arbeitslos.
Ein Freund vermittelte Lotte Schwarz den Kontakt zur Zürcher Emigrantenpension Comi. Dort bekam sie eine Stelle als Zimmermädchen. In ihrem kürzlich wiederentdeckten Roman «Die Brille des Nissim Nachtgeist» setzte sie den Besitzern und Gästen der Pension ein schillerndes Denkmal.
Stimmung gegen Flüchtlinge
Das Exil traf Lotte Schwarz schwer. Zwar hatte sie durch eine Scheinehe Arbeitserlaubnis und fand eine Stelle im Sozialarchiv, als die Pension Comi 1942 schloss. Aber die Stimmung gegen Flüchtlinge war aufgeheizt.
So fand man als Mann, der mit einer Heirat helfen wollte, schon mal anonyme Drohungen im Briefkasten: «Sie sind zum 2. Mal davor gewarnt, die Judensau zur Stadtbürgerin zu machen».
Lotte Schwarz’ Bruder Hans, auch er Mitglied der Roten Kämpfer, kam in ein KZ. Später wurde er an die Ostfront deportiert und blieb dort verschollen. Es gab verzweifelte Versuche, Freunden und Genossen zur Flucht aus Deutschland zu verhelfen. Gleichzeitig tobten innerkommunistische Auseinandersetzungen und in Moskau hatten die Schauprozesse begonnen.
Mit Texten die Erinnerung wachhalten
Als der Krieg vorbei war, erhielten in der Schweiz die wenigsten Flüchtlinge Dauerasyl. Aber auch die sogenannte Weiterwanderung wurde oft behindert. Noch bis 1951 gab es etwa 900 «fremdenpolizeilich Internierte» in der Schweiz.
Lotte Schwarz störte sich auch am Umgang mit dem Geschehenen, den ersten Bewegungen des Verdrängens und Vergessens. «Du hattest es gut, du konntest ins Ausland», hielt man ihr bei ihrem ersten Besuch 1950 in Deutschland vor und verbot ihr fast den Mund.
«Die Spuren verlieren», schrieb sie darauf, «heisst immer auch, nichts vom Schicksal der Verschwundenen zu wissen.» Sie bewahrte das Wissen in ihren hellsichtigen Texten.