Es ist Wahlkampf, es geht um das Amt des Staatschefs. Ein Rechtspopulist mit Namen Ulli Popp tourt durch das Land und lässt sich von seiner Anhängerschaft feiern.
Das ist die Ausgangslage im Roman «Die Einstellung» des Schriftstellers und Historikers Doron Rabinovici. Wo der Roman spielt, wird nicht gesagt. Es könnte irgendeine der vielen Demokratien sein, die aktuell aufgrund populistischer Bewegungen unter Druck stehen.
«Dauerbetroffene Gutmenschen»
Die atmosphärisch dichten Schilderungen von Popps Auftritten vor dem Wahlvolk gehören zum Stärksten, was der Roman zu bieten hat. Es sind Szenerie einer Politsekte: «Der ganze Platz eine einzige Anhimmelei. Danach das Gejohle und Geklatsche. Die Band spielte wieder auf, und die Hymne erklang erneut. ‹Ullí Ullí Ullí Ullíi – Úlli Úlli – Ulli Popp.›»
Popp schimpft auf Migrantinnen und Migranten. Verdammt die politische Elite als «dauerbetroffene Gutmenschen». Diffamiert liberale Medien als «Lügenpresse». Und immer wieder: rassistische und antisemitische Stereotype.
Der Schnappschuss
Popps Gegenspieler im Roman ist ein gewisser August Becker, Fotojournalist alter Schule mit hohem Berufsethos. Mit seinen Porträts will er mehr als das Gegenüber abbilden. Er will hinter dessen Fassade blicken, den ganzen Menschen zeigen. Auch dessen Abgründe.
Becker erhält von einer liberalen Zeitung den Auftrag, ein Foto von Popp zu schiessen, welches diesen als von Hass zerfressenen Menschen demaskiert. Und so dessen Wahl verhindert. Becker folgt Popp von Auftritt zu Auftritt. Schiesst Hunderte von Fotos. Lauert auf den richtigen Moment.
Dann endlich: «Er hatte Popp so erwischt, wie noch nie zu sehen gewesen war: das Gesicht eines Totschlägers, Hass im Hochformat … die Schlagseite, der Übergriff.»
Die Wirkung des Bildes
Wird das Bild nach der Publikation nun Popp in der öffentlichen Meinung tatsächlich vernichten? Oder verhält es sich gerade umgekehrt? Wird die Aufnahme Popp am Ende gar nützen, weil die gezeigte hässliche Seite von Popp die eigentliche Ursache für dessen Zulauf ist?
Doron Rabinovicis Roman gelingt es, wichtige Aspekte des Populismus literarisch zu durchdringen und auf diese Weise dessen toxische Mechanik freizulegen. Indem das Buch etwa die Suche des Fotografen nach der «richtigen Einstellung» ins Zentrum der Handlung stellt, rückt es die Macht des Bildes ins Scheinwerferlicht: Das Bild als Mittel, um Fakten zu manipulieren bis hin zur blossen Lüge.
Rabinovici zeigt, wie die Anhänger des Populisten Verdrehungen und Diffamierungen dankbar glauben. Weil sie der eigenen Sicht der Welt entsprechen. Und weil sich die Realität offenbar einfach ausknipsen lässt.
Engagement für die Demokratie
Doron Rabinovici wurde 1961 in Tel Aviv als Sohn zweier Holocaust-Überlebender geboren. Seit Kindsbeinen lebt er in Wien. Immer wieder hat er sich in seinen Romanen, Erzählungen, Hörspielen, Bühnenstücken und auch historischen Werken mit Rechtspopulismus, Fremdenfeindlichkeit und Sexismus beschäftigt.
Mit «Die Einstellung» ist dem Autor ein Roman gelungen, der hochaktuell ist und überdies aufgrund seines hohen Erzähltempos besticht. Immer wieder gibt es überraschende Wendungen. Nur gelegentlich wirken sie etwas konstruiert.
Die Kraft des Wortes
Nach der Lektüre bleibt die bange Frage: Kann es der Demokratie gelingen, sich gegen den Populismus zu behaupten, diese machtvolle politische Abrissbirne? Der Roman legt sich nicht fest.
Immerhin lässt sich aus seinem Ende aber eine Art Durchhalteparole herauslesen: Rabinovici beschliesst den Roman mit dem Porträt einer investigativen Print-Journalistin. Die Popp-Kritikerin ist hart im Nehmen und unbeirrbar in ihrer politischen Haltung. Sie vertraut ungebrochen der Kraft des Wortes. Den geprüften Fakten. Und den Argumenten der Vernunft.