Das Thema Arbeitswelt führt in der Literatur ein stiefmütterliches Dasein. Man kennt vielleicht David Foster Wallace, Rainald Goetz, J.J. Voskuil und Herman Melvilles «Bartleby». Mit Sicherheit ist es weniger ergiebig als Themen wie Eltern, Familie oder Ehe. «Softe Themen», wie sie gern genannt werden.
Wobei diese Themen meistens so soft nicht sind – und das Thema Arbeitswelt weniger sachlich, als es den Anschein macht. Denn auch hier geht es um uns Menschen. Und zwar fundamental.
Die 37-jährige österreichische Schriftstellerin Birgit Birnbacher befasst sich schon zum zweiten Mal in einem Roman mit dem Thema Arbeitswelt. Man könnte sie leicht eine «Expertin» nennen – und das ist sie wahrlich auch, wenn man mit ihr spricht.
In das, was sie literarisch beleuchtet, lässt sie eigene Erfahrungen und sehr viel theoretisches Wissen einfliessen. In «Ich an meiner Seite» (2020) musste sich ein ehemaliger Häftling nach seiner Entlassung wieder ins Arbeitsleben einfinden. Und auch «Wovon wir leben» hat es in sich, auch wenn es weniger prekär zugeht.
Missverständnis führt zu Jobverlust
Im Zentrum des Romans steht die knapp 40-jährige Krankenschwester Julia Noch, der ein Behandlungsfehler unterläuft. Ein kleines, aber wichtiges Detail: Es handelt sich um ein Missverständnis aufgrund einer Namensverwechslung. Julia wird zuerst wegen Lungenproblemen krankgeschrieben. Daraufhin verliert sie ihre Arbeit.
Weil sie der Verlust ihrer Arbeit in eine Krise stürzt, geht sie zurück zu ihren Eltern in ihr Heimatdorf im österreichischen Inngebirge. Ihre Mutter hat nach langen Jahren einer eher schlechten als rechten Ehe den Vater verlassen, ist in Richtung Sizilien gezogen, um sich dort neu zu finden.
Der Bruder, seit einer Gehirnhautentzündung als Bub pflegebedürftig, ist in einem Sanatorium in der Nähe des Heimatdorfes untergebracht. Julia muss sich vom ersten Tag an um den Vater und zeitweise auch um den körperlich stark beeinträchtigten Bruder kümmern.
Arbeit verloren, Sinn verloren
Care-Arbeit und kein Ende: Das ist ein Aspekt des Buches, den Birgit Birnbacher gekonnt und mit grossem literarischen Gespür durchspielt. Gleichzeitig findet Julia in ihrem Heimatdorf eher verwahrloste Verhältnisse vor: Die meisten Männer – darunter auch ihr eigener Vater – haben keine Arbeit mehr, weil die Fabrik geschlossen hat, und sitzen Karten spielend und saufend in der Kneipe.
Und dann kommt «ein Städter» ins Dorf, der eine Art bedingungsloses Grundeinkommen «gewonnen» hat und neu anfangen will. Zwischen Julia und dem Städter entspinnt sich eine Liebesbeziehung, die so unkompliziert nicht ist.
Tristesse der entfremdeten Arbeitswelt
«Wovon wir leben» erzählt von verpassten Chancen im Leben, aber auch von der Suche nach einem selbstbestimmten und freigewählten Leben. Es geht um Arbeitsverhältnisse, -modelle und -konzepte der Zukunft, um Sorgearbeit – die immer auch eine Frage der Geschlechterrollen ist – , um Erwerbsarbeit und strukturelle Arbeitslosigkeit und um das Thema Grundeinkommen.
Das klingt ambitioniert, ist aber erhellend, überzeugend und überaus lesenswert. Etwa wenn Birgit Birnbacher leise und dezent Theorien zu unserer Arbeitswelt in den Roman einwebt – etwa von der österreichischen Sozialpsychologin Marie Jahoda oder vom deutschen Soziologen Hartmut Rosa.