Robert Menasse ist Verfechter eines Europas der Regionen. Er setzt sich seit Jahren mit der EU und dem europäischen Integrationsprozess auseinander. In seinen Büchern moniert er ein Zuviel an Bürokratie und Regulierung.
In seinem neuen EU-Roman «Die Erweiterung» greift nun Menasse am Beispiel von Polen und Albanien die zunehmenden Verstösse gegen die Rechtsstaatlichkeit und Demokratie auf – in Ländern, die bereits der EU angehören oder das eben wollen.
Menasses Roman analysiert nicht nur die politische Gegenwart, sondern erzählt die Geschichte eines Blutsbruder-Zwists, der symptomatisch für den heutigen Zeitgeist gelesen werden kann.
Entfremdung zweier Blutsbrüder
Adam und Mateusz sind Blutsbrüder. Sie haben einen Eid geleistet, als sie in den 1980er-Jahren im polnischen Untergrund waren. Seither sind ihre politischen Ideale diametral auseinandergedriftet.
Mateusz ist heute polnischer Ministerpräsident und sieht in Adam einen Versager. Adam ist Mitarbeiter der EU-Kommission in der Generaldirektion für Erweiterung. Für ihn ist der einstige Blutsbruder ein Verräter geworden. Einer, der Polen Jahrzehnte nach der Wende so führt, «als wäre es noch immer oder wieder besetzt und fremdbestimmt».
Auf einer Kreuzfahrt, zu der der albanische Ministerpräsident die europäische politische Elite lädt, treffen die beiden wieder aufeinander.
Der Retter des Abendlandes
«Die Erweiterung» ist fesselnder Thriller und anspruchsvolle Politsatire. Allein wegen des pointenreichen und bildstarken Prologs lohnt sich die Lektüre.
Dieser dreht sich um den Helm des mittelalterlichen albanischen Kriegshelden Skanderbeg. Der Helm steht im Kunsthistorischen Museum Wien unter einer Glasglocke. Die Albaner wollen ihn zurück. Er soll als Symbol für ein geeintes Albanien herhalten, denn Skanderbeg hat einst das europäische Christentum gegen die Osmanen beschützt.
Die Geschichte, die Menasse um diesen Helm spinnt, ist aberwitzig, aktuell und aufschlussreich. Ein Crash-Kurs in Sachen Westbalkan und EU-Erweiterungspolitik, aber auch in Diplomatie und Wahlkampfrhetorik.
Schiff mit sinkender Schubkraft
Menasse schreibt mit viel Ironie und Sarkasmus gegen visionsloses Status-Quo-Denken, Rassismus und Nationalismus an. Er zeigt, wie Europapolitik in das Leben seiner Romanfiguren hineingreift.
Der Österreicher erzählt etwa vom Pressesprecher der albanischen Regierung, der sich seiner Schönrednerei zunehmend schämt. Oder von einem skrupellosen Fotografen, der Politiker so erscheinen lässt, wie es sein Auftraggeber bestellt. Und von einer schlagfertigen Journalistin, die sich in den Pressesprecher verliebt.
Auch die Liebe kommt bei Menasse nicht zu kurz. Auf sie wird gebaut, wenn alles andere in eine Sackgasse führt.
Trotzt seiner Exzellenz schwächelt Robert Menasses neuer EU-Roman in einigen Punkten. Die Geschichte wirkt konstruiert und ufert aus. Skanderbegs Helm als Motor der Erzählung verliert an Schubkraft. Und der Roman treibt am Ende orientierungslos daher – wie Menasses Kreuzfahrtschiff im ionischen Meer.