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Jonas Lüscher: Kommt alles gut?
Aus Sternstunde Philosophie vom 16.04.2017.
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Schriftsteller Jonas Lüscher Lässt sich das Leben mit «Lifehacks» austricksen?

Im Silicon Valley sollen die grossen Menschheitsprobleme mit innovativer Technologie gelöst werden. Auch die Sterblichkeit. Der Schweizer Schriftsteller Jonas Lüscher sieht die Entwicklung skeptisch und kritisiert den Machbarkeitswahn.

Das Wichtigste in Kürze

  • Im Silicon Valley herrscht der «konkrete Optimismus»: die Vorstellung, man könne die grossen Menschheitsprobleme mit technologischen Innovationen bald lösen.
  • Der Schweizer Autor und Philosophen Jonas Lüscher widmet sich in seinem neuen Roman «Kraft» diesem effizienzorientierten Geist der Vermessbarkeit.
  • Er ist skeptisch: nicht alles sei mess- und quantifizierbar. Wir müssten wieder lernen, «den Zufall für würdig zu erachten».

Lebensmittel einkaufen, sie im Kühlschrank lagern, bei Bedarf zubereiten, kochen, anrichten, mit Freunden gemeinsam essen und hinterher spülen. Das alles kostet Zeit.

Die effiziente Lösung dieses Zeitproblems lautet: «Soylent». Eine künstliche Flüssignahrung mit allen wichtigen Nährstoffen. Damit hat man das Leben ausgetrickst. Im Silicon Valley, der kalifornischen Ideenschmiede, spricht man gar von einem «Lifehack», einem Hackerangriff auf das oft umständliche und ineffiziente Alltagsleben.

Buchhinweis

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Jonas Lüscher: «Kraft». Beck, 2016.

Für den Schweizer Autor und Philosophen Jonas Lüscher steckt hinter dieser Idee eine befremdliche Haltung: Man reduziert eine Kulturtechnik, in diesem Fall das Essen, auf eine Reihe von Messwerten.

Man befreit sie damit «von allen historischen Bezügen, von allem emotionalen Ballast, bis man den nackten, vermessbaren Kern vor sich hat». Lüscher widmet sich in seinem neuen Roman «Kraft» diesem effizienzorientierten Geist der Vermessbarkeit, der aus dem Silicon Valley zu uns heranweht.

Die grossen Probleme lösen mit «Moonshots»

Diese Mentalität der Machbarkeit, dieser «konkrete Optimismus», wie der milliardenschwere Investor und Paypal-Gründer Peter Thiel in seinem Buch «Zero to One» schreibt, äussert sich etwa auch in der Vorstellung, man könne die grossen Menschheitsprobleme bald lösen, und zwar durch technologische Innovationen. Im Silicon Valley nennt man das «Moonshots».

Lüscher, der selbst neun Monate im Silicon Valley gelebt hat, vermutet hinter dieser Suche nach «Moonshots» simple kapitalistische Interessen und eine gehörige Dosis Naivität. Denn während im Silicon Valley Milliarden investiert werden, um das «Problem» der Sterblichkeit zu lösen, leidet immer noch knapp eine Milliarde Menschen an Hunger.

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«Kraft» von Jonas Lüscher (C.H. Beck)
Aus Literaturclub vom 31.01.2017.
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Vermessungswahn

Zudem meint Lüscher, dass wir heute einer «quantitativen Blendung» unterliegen, einem Verlangen, alles zu messen, zu quantifizieren, zu zählen. Hinter diesem Vermessungswahn verstecken sich nach Lüscher eine Sehnsucht nach Kontrolle, nach Planbarkeit und der Versuch, das «Joch des Zufalls» abzuschütteln.

Ein Bestreben, das Lüscher persönlich nur schwer nachvollziehen kann. Er fordert vielmehr, wir müssten wieder lernen, «den Zufall für würdig zu erachten», über unser Leben zu bestimmen. Denn der Zufall gehöre zum Leben, ebenso wie der Tod.

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Auch mit Menschenleben lässt sich rechnen

Zudem, so der Literat, sollten wir wieder lernen, auf Geschichten zu vertrauen, aufs Erzählen statt aufs Zählen. Denn, davon ist Lüscher überzeugt, mit Geschichten können wir die komplexe Wirklichkeit, in der wir leben, oft besser verstehen als mit mathematischen Modellen. Letztere würden nämlich ausblenden, woraus das Leben im Wesentlichen besteht: aus konkreten Einzelfällen.

Für viele Techno-Optimisten aus dem Silicon Valley gilt der Einzelfall, das Schicksal eines einzelnen Menschen, jedoch als vernachlässigbar angesichts der positiven Entwicklung des grossen Ganzen. Auch mit Menschenleben lässt sich rechnen. Das kleine Übel ist gerechtfertigt angesichts der Güte des grossen Ganzen.

Wieso lösen wir nicht die lösbaren Probleme?

Ähnlich hatte 1710 der deutsche Philosoph Leibniz den lieben und allmächtigen Gott verteidigt angesichts der Übel in der Welt. Lüscher greift in seinem Roman auf diese Idee der «Theodizee» zurück und überträgt sie in unsere Zeit.

Angesichts der technologischen Möglichkeiten steht nämlich nicht mehr Gott, sondern der Mensch selbst auf der Anklagebank und muss sich fragen: Wie können wir zulassen, dass Millionen von Menschen an Hunger, Krieg und Naturkatastrophen leiden, wenn wir doch längst in der Lage wären, das zu verhindern? Dieses Elend zu beseitigen, das wäre doch, so Lüscher, ein wahrer «Moonshot».

Sendung: SRF 1, Sternstunde Philosophie, 16.04.2017, 11:00 Uhr

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