«Waren meine Vorfahren in den Sklavenhandel verstrickt?» Diese Frage stellte sich Ina Boesch, als sie im Werk eines Historikers über den Namen von Salomon Kitt stolperte. Der Zürcher Kaufmann soll im 18. Jahrhundert in der Karibik in koloniale Geschäfte verwickelt gewesen sein.
Der erste Zürcher in der Karibik
Die Recherche der Autorin fördert eine Geschichte zu Tage, die sich in manchen Passagen liest wie ein Abenteuerroman: Salomon Kitt musste seine Geburtsstadt und seine Familie für immer verlassen, nachdem sein Geschäft 1778 bankrott ging. So waren damals die Spielregeln. Also versuchte er sein Glück als erster Zürcher Kaufmann in der Karibik, auf der kleinen Insel St. Eustatius. Diese war damals eine niederländische Kolonie und ein Zentrum des Welthandels.
«Die Karibik war für einen europäischen Kaufmann im 18. Jahrhundert ein Eldorado», erzählt Ina Boesch. «St. Eustatius war dank der Lage ein riesiger Umschlagsplatz, wo sich viel Geld machen liess – wenn auch unter grossen Risiken.»
Auf der Insel wurden Produkte gehandelt, die in Europa heiss begehrt waren: Salomon Kitt schickte Kaffee und Zucker nach Hause, die auf karibischen Plantagen hergestellt wurden. Im Gegenzug verkaufte er hochwertige Textilien aus der Eidgenossenschaft.
Kein Sklavenhandel, aber Bodenspekulation
Kitt profitierte vom kolonialen System, auch wenn er nicht direkt mit versklavten Menschen handelte. Dabei empfahl ihm ein Geschäftspartner in einem Brief mit Nachdruck, er solle «unbedingt schöne Jugendliche» in sein Sortiment aufnehmen, «vorzugsweise Congos». Weshalb Salomon Kitt nicht auf diesen Vorschlag einging, dazu fand Ina Boesch keine Dokumente: «Leider hat er dieses Geheimnis ins Grab getragen», sagt sie.
Nachdem sein Geschäft auf St. Eustasius in die Brüche ging, weil die Briten den Niederländern den Krieg erklärten, zog Salomon Kitt weiter nach Nordamerika. Dort spekulierte er mit Land, das er Indigenen abgeknöpft hatte.
Das globale Dorf gab’s schon vor 500 Jahren
Ina Boesch ist weit gereist, um die Geschichte der Kaufleute Kitt zu recherchieren: in die Karibik, nach Nordamerika und nach Kairo, wo ihr Urgrossvater als Kaufmann tätig war. In ihrem Buch «Weltwärts» verfolgt sie vier Lebensläufe, die anschaulich zeigen, wie die globale Vernetzung den Alltag einer wohlhabenden Zürcher Familie prägte.
Schon um 1600 finden sich auf der Inventarliste eines Kaufmannsladens asiatische Gewürze und Gummiarabikum aus Afrika. Und in einem Kochbuch, das eine Vorfahrin um 1700 schrieb, sind Muskatblüten und Zimt ganz selbstverständliche Zutaten.
«Ich war sehr erstaunt, am Beispiel der Kitts zu sehen, wie früh, wie konstant und wie selbstverständlich diese Familie globalisiert war», sagt Ina Boesch. Ihr Buch «Weltwärts» gibt verblüffende Einblicke in die Alltagsgeschichte einer Zürcher Oberschichtsfamilie. Trotz der persönlichen Perspektive wird klar: Die Eidgenossenschaft war viel früher und stärker in die Kolonialwirtschaft eingebunden, als wir gerne wahrhaben wollen.