In Christian Krachts neuem Roman «Die Toten» führt der Weg zum Film, in das Jahr 1933, nach Deutschland, Japan und nach Kalifornien. Das Ende findet in den Hügeln von Hollywood statt.
Die Zelluloid-Achse Berlin-Tokio
Ganz oben am Mullholland Drive. Ida von Üxküll, der verblichene Stern des Films, stürzt in den Tod, vom grossen H des Buchstabengitters über der Ebene von Los Angeles. Todesarten auch am Anfang. In Tokio wird ein Ritual-Freitod gefilmt, beobachtet durch ein Loch in der Zimmerwand im Westen der Stadt.
Dazwischen passiert viel, aber was genau? Da wird es schwierig. Die Geschichte von der grossen Zeit des Kinos will der Roman erzählen und etwas auch von der politischen Zeit und ihrer Zelluloid-Achse Tokio-Berlin.
Zusammen einen Gruselfilm machen
Ein Schweizer Filmregisseur tritt auf und ein japanischer Kulturbeamter, so viel ist sicher. Emil Nägeli und Masahiko Amakasu. Sie sind die Hauptfiguren und sie haben ein gemeinsames Projekt. Ein grosser deutsch-japanischer Kinofilm soll entstehen, ein Gruselfilm als Gegengewicht zum imperialen Anspruch der Amerikaner.
Das weitere Personal trägt Klarnamen: von Alfred Hugenberg, dem Chef der UFA, bis zum Regisseur Fritz Lang, dem Schauspieler Heinz Rühmann und den Kritikern Lotte Eisner und Siegfried Kracauer sind viele grosse Namen aus dem Berlin kurz vor 1933 vertreten.
Charlie Chaplin als Mörder
Der erste Teil des Romans ist Vorgeschichte. Parallel behandelt er Familienverhältnisse der Protagonisten, drakonische Erziehungsmassnahmen inklusive. Härte und Lieblosigkeit in vielen Varianten. Am Schluss brennt ein Internat, aber selbst angezündet hat es der Japaner wohl nicht.
Charles Chaplin betritt in Teil zwei die Szene. Ein unangenehmer Charakter in Krachts Roman, der Amakasu auf grosser Fahrt im Pazifik einfach von der Reling ins Wasser stürzt. Überall in Berlin hängen die Hakenkreuzfahnen, als bei Hugenberg der Horrorfilm geplant wird und Lang, Eisner und Kracauer schon die Flucht ins Pariser Exil antreten.
Das Leben eine Farce
Was noch? Ida von Üxküll ist Nägelis Verlobte und war Amakasus Geliebte, bevor sie am Boulevard der Dämmerung ihr Ende findet. Goebbels hat Hugenberg abgelöst. Der fertige Film ist mehr Impression als Horror und fällt durch bei der Vorführung in Zürich. Den Buchstaben H hatte Nägelis Vater gehaucht, bevor er stirbt.
Und? Nichts. Schliesslich sind viele tot und das Leben eine Farce, folgt man der Perspektive dieser Prosa. Eine «merkwürdige flache Zähigkeit», in Krachts Worten, liegt über dem ganzen Buch, das sich in seiner bemüht meisterlichen Komposition und Anlage schier erschöpft.
Den Sinn der Sätze übersetzen
Handlung bedeutet gar nichts, Stil alles, wie Christian Kracht es in einer Art parfümierten Kunstwollens schon länger vorführt. Hier reiht er edle Adjektivketten aneinander, bis sich alles Fassbare verflüchtigt und man den Sinn der Sätze oft übersetzen muss.
Das war mal anders, beim Debüt «Faserland» zum Beispiel, vor über zwanzig Jahren, und auch danach. Aber inzwischen hat sich dieser Autor darauf verlegt, alles mit einer leerlaufenden Ironie zu überzuckern und so wie Thomas Mann zu schreiben, wie der nur nie geschrieben hat.
Kracht gefällt sich als Rätselfigur
Alles Fake, alles Attitüde. Der Blick aus der Loge, der ziemlich entspannt ein ziemlich wirres und oft gewalttätiges Bühnengeschehen betrachtet. Das hat Methode, natürlich.
Christian Kracht ist nicht zu fassen. Sein neuer Roman ist eigentlich ohne Inhalt und wenn sein Autor sich äussert, dann sagt er nichts. Immer schon hat er sich als Rätselfigur gegeben, die hinter den Spiegelungen seiner Texte und Themen verschwindet.
Christian Kracht lebt in Los Angeles. Das scheint sicher. Sein neuer Roman ist kein Geheimnis.
Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 8.9.2016, 8.20 Uhr.