Alles hat seinen Platz im Leben von Eva: Die Wohnung ist blitzblank und aufgeräumt, der Tagesablauf ist durchgetaktet. Für sie sei das Leben einfacher, glaubt Eva, wenn es Ordnung und Logik habe. Ohne klare Struktur verliert Eva Halt und wird von Panikattacken überwältigt.
Die neurotische Strukturiertheit hat indes auch negative Konsequenzen: Sie treibt alles Spontane aus Evas Leben, zieht sich mehr und mehr zurück – und ist umso stärker ihrer Krankheit ausgeliefert.
Der Weg durch die Krankheit
In ihrer Graphic Novel «In Ordnung» zeichnet Anja Wicki Evas langen Weg durch die Krankheit nach. Eva Ritter ist Architektin, um die 30 und leidet seit ihrer Jugend an einer nicht näher genannten psychischen Krankheit.
Damit wählte die Luzerner Comicautorin Anja Wicki ein anspruchsvolles Thema für ihr Debüt.
Preisgekrönte Newcomerin
Die 1987 geborene Wicki gilt als eines der vielversprechendsten Comictalente der Schweiz. Bereits während ihres Studiums gründete sie mit zwei Kollegen das Ampel-Magazin, das immer wieder für Aufsehen sorgt.
Auch wenn Anja Wicki vor «In Ordnung» keine grösseren Arbeiten veröffentlicht hat, wurde sie bereits mehrfach mit Werkbeiträgen gefördert und mit Preisen ausgezeichnet. Das ist kein Zufall: Mit «In Ordnung» stellt Wicki ihre Qualitäten als Erzählerin und Zeichnerin unter Beweis.
Erzählungen in Zeichnungen übersetzt
Anja Wicki erzählt Evas Leidensgeschichte fragmentarisch, in locker verknüpften Episoden, durchsetzt von Rückblicken. Den Lauf der Zeit verdeutlichen Evas regelmässige Sitzungen mit Therapeutinnen: Jedes Mal sitzt ihr jemand anders gegenüber, jedes Mal erhält sie andere Erklärungen, Tipps und Therapien.
Nicht nur erzählerisch hat Wicki eine adäquate Form für Evas Geschichte gefunden – auch zeichnerisch übersetzt sie Evas Innenleben auf passende Weise: Ihre Zeichnungen sind stilisiert, aufgeräumt, ordentlich. Dezente Pastellfarben deuten innere und äussere Zustände und Prozesse an. So wird die Bildsprache zum Spiegel von Evas Innenleben.
Leise, aber eindringlich
Dabei verzichtet Wicki auf eine unnötige Dramatisierung – und wo immer möglich auch auf Dialoge. Die Comiczeichnerin konzentriert sich ganz auf Eva und ihre Schwierigkeiten beim Bewältigen ihres Alltags.
Sie benötigt keine Erklärungen, um uns zu vermitteln, wie es in Eva aussieht. Die Gestaltung der Bilder, die Repetition und Variation alltäglicher Gesten und die Flucht in die Natur machen das auf leise, aber eindringliche Weise spürbar. So schafft Wicki einen ruhigen Sog, der Eva immer tiefer in den Teufelskreis ihrer Zwangsstörungen führt.
Der mysteriöse Schutzengel
Erst als Gabi unvermittelt in Evas Wohnung auftaucht, gerät ihr Leben in Bewegung. Gabi ist ein Rätsel: Es ist nicht ganz klar, ob sie ein echter Mensch oder die imaginäre Verkörperung des Erzengels Gabriel ist. Dieser begleitet Eva schon länger auf einem Votivbild, das ihre Grossmutter ihr zugesteckt hat.
Ob Mensch oder Schutzengel, ist letztlich unwichtig. Wichtig ist, dass die unberechenbare Gabi Evas Leben aus dem Takt bringt. Das löst zunächst eine tiefe Krise aus – bedeutet aber auch einen Bruch mit ihren Zwangsstörungen.
«In Ordnung» erzählt eine innere Geschichte auf sensible Weise. Vordergründig ist das Werk unspektakulär, doch dank ihrer Subtilität hallt diese Graphic Novel lange nach.