«Mir wurde eine morbide Ader in die Wiege gelegt», sagt Christine Brand. «In meiner Kindheit war ich vom Tod umgeben.» Das will so gar nicht zu dieser 48-jährigen Frau passen. Sie wirkt sehr lebendig. Auffallend klare blaue Augen. Sie lacht viel.
Umgeben vom Tod
Doch der Schein trügt: Christine Brand wächst in der Emmentaler Gemeinde Oberburg hinter Burgdorf auf. Inmitten einer illustren Nachbarschaft. Auf der einen Seite steht das Haus des Metzgers: «Ich bekam es immer mit, wenn die Tiere geschlachtet wurden», erinnert sich die Autorin.
Auf der anderen Seite lebt ein Jäger. «Wenn ich abends nach Hause kam, sah ich die blutigen Kadaver der geschossenen Rehe hängen.» Aber damit nicht genug: Ihr Vater ist Bestatter. «Es war in meiner Kindheit normal, dass dauernd Leute starben, auch junge.»
Diese Erfahrung habe sie geprägt: «Ich ging bewusster durchs Leben.» Ihr kriminalistisches Erweckungserlebnis hat sie als Jugendliche – mit dem Mord in Kehrsatz 1985, einem der aufsehenerregendsten Fälle der Schweizer Strafjustiz.
Eine junge Frau wird ermordet und in der Tiefkühltruhe ihres Hauses deponiert. «Der Fall hat in mir eine Faszination für Gewaltverbrechen geweckt, die nie mehr erloschen ist», sagt Christine Brand. Und sie macht die Faszination zum Beruf: Sie wird Gerichtsreporterin. Sie wohnt zahllosen Prozessen bei und berichtet darüber.
Die Geschichte hinter dem «Monster»
Immer habe sie «die Geschichten hinter dem Menschen verstehen wollen, die diesen zum Verbrecher werden liessen». Auch der schlimmste Gewaltverbrecher sei «kein Monster», sondern «ein Mensch mit einer Geschichte».
Christine Brand versteht es trefflich, die Fälle in Sprache zu fassen: geschickte Dramaturgie, nüchterne Ausdrucksweise. Boulevardeske Zuspitzungen sind ihr fremd. Ihr Schreibtalent beweist sie auch in ihren Romanen, die sie parallel zur Arbeit als Journalistin zu schreiben beginnt. Fiktive Fälle, aber auch reale Verbrechen, True Crimes.
2016 hängt sie den Job als Journalistin an den Nagel. Sie will sich ganz dem Schreiben von Büchern widmen. Derzeit schreibt sich auch für SRF an einer neuen Krimi-Serie. Und sie reist viel. Einen guten Teil des Jahres verbringt sie auf Sansibar.
Alte Verbrechen, neu erzählt
Die Fälle, die sie als Reporterin miterlebt hat, sind der Steinbruch, auf dem sie sich bedient für ihre Bücher, die sie eines nach dem anderen publiziert. Eben gerade «Wahre Verbrechen»: sechs Fälle, einer monströser als der andere. Darunter auch der Vierfachmord von Rupperswil 2015.
In «Bis er gesteht», ebenfalls kürzlich erschienen, ist eine akribische Aufarbeitung des Zwillingsmords von Horgen 2007. Nur der Vater und die Mutter kommen als Täter in Frage. Wer ist es gewesen? Und: Mit welchem Motiv?
Christine Brand schreibt so, dass Leserinnen und Leser unmittelbar dabei sind, wenn sich für die Ermittler das Puzzle der verstörenden Wahrheit zusammensetzt. Ein Psychiater beschreibt die seelische Störung, die der Tat zu Grunde liegen könnte. Wie jedoch der Mensch am Ende zum Verbrecher geworden ist, bleibt unklar.
Um dies zu erklären, müsste sie «den Tätern in den Kopf schauen können», sagt Christine Brand. Das kann nur die Fiktion. Nicht so der True Crime.
Ethische Fragezeichen
Das Schaudern beim Lesen ist dennoch garantiert. Gute Absatzzahlen für die Bücher ebenso. Sie unterhalten. Gerade auch, weil die Protagonisten reale Täter, Opfer und Angehörige sind. Echte Menschen. Diese können sich nicht dagegen wehren, Teil der Brand’schen Krimi-Inszenierung zu sein.
Die moralische Problematik sei ihr bewusst, sagt die Autorin. Aber das öffentliche Interesse überwiege. «Mein Buch hält uns den Spiegel vor. Es zeigt, wie wir als Gesellschaft funktionieren und welche Verbrechen geschehen können.»