Ein Schriftsteller nach einer Lesung in seiner Heimatstadt. Betrunken steht er vor der Tür des Hotels und erkennt im Nachtportier sein jüngeres Ich. Zunächst kann er sein Alter Ego nur als Spinnerei abtun.
Aber als er seinen Doppelgänger kurz darauf wiedertrifft, stellt er sich den Tatsachen. Anstatt sich jedoch direkt mit seinem jüngeren Ich zu konfrontieren, nimmt der Schriftsteller Kontakt auf zu dessen Freundin.
Ein verspielt schwebender Roman
Das Motiv des Doppelgängers ist nicht neu. Vor allem in der Zeit der Romantik hatte es Hochkonjunktur. Dort jedoch war der Doppelgänger meist mit Angst behaftet – das Ich und dessen dunkle Seite.
Peter Stamms Roman «Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt» nimmt diese aufgeladene Stimmung zwar auf. Aber der Roman ist nicht mystisch oder unheimlich, sondern vielmehr verspielt und schwebend.
Variationen eines bewährten Motivs
Stamm variiert das Motiv des Doppelten auf allen Ebenen – im Inhalt, in der Form, in den Bildern –, ohne es überzustrapazieren. Dass er dabei auch sein Debüt «Agnes» neu beleuchtet, ist Teil des Spiels.
Das Motiv des Autors, der sich in seinen Phantasiewelten verliert und mit seinem Buch das Leben überschreibt, wird mit leiser Ironie weitergesponnen. Das so entstehende Spiegelkabinett entzieht dem Lesenden immer wieder den Boden unter den Füssen, und schlägt ihn gleichzeitig in Bann.
Das Sein, die Zeit, das Schicksal
In «Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt» greift Stamm philosophische Grundfragen unseres Lebens auf: Was, wenn man das Rad der Zeit zurückdrehen könnte?
Wenn man im Nachhinein nochmal in sein eigenes Leben eingreifen dürfte? Was würde man seinem jüngeren Doppelgänger ans Herz legen, gesetzt man hätte einen – oder träfe ihn.
Hommage an Camus
Oder auch die Frage nach Schicksal und Kontingenz: Was mache ich aus meinem Leben? Habe ich Optionen oder ist alles vorbestimmt?
Kein Wunder also, ist der Titel des Buches entlehnt aus den letzten Zeilen von Albert Camus’ Roman «Der Fremde», für Peter Stamm eines seiner Lebensbücher.
Der Reiz am Durchschnittlichen
Bei all diesem raffinierten literarischen Spiel ist der Schriftsteller im Buch eine stille Figur und fast etwas matt gezeichnet. Er bedrängt uns nicht mit seinen Vorlieben und Abneigungen und führt ein eher unspektakuläres Leben.
Ein Mann ohne Eigenschaften, könnte man sagen. Und in der Tat ist es genau das, was Stamm fasziniert. Durchschnittsmenschen finde er viel spannender als Extremcharaktere, sagte er einmal.
Figuren mit Tiefe
Durchschnittsmenschen beschäftigten sich nicht ständig mit sich selbst und man könne sich leichter in sie hinein versetzen. Gerade dadurch würden sie zur Projektionsfläche und zu Figuren mit Tiefe.
«Es gibt keine Menschen, die weniger tief sind als andere», so Stamm.
Ein Buch über einen Durchschnittsmenschen, das alles andere als durchschnittlich ist. Ein doppelbödiges Buch über einen Doppelgänger – virtuos umgesetzt.