Sechs Romane, zahlreiche Kontroversen in der Presse – und das alles mit knapp 30. Quentin Mouron ist ein Phänomen.
Seine Satire «Vesoul, 7. Januar 2015» war in der Romandie vor einem Jahr das meistdiskutierte Buch der Saison. Jetzt ist es auf Deutsch erschienen.
Mouron ist nichts heilig
In Frankreich brachte das Buch ihm den Ruf ein, der «Schweizer Houellebecq» zu sein. Zu Recht. Denn Mouron ist nichts heilig. Auch nicht der Umgang mit dem Anschlag auf Charlie Hebdo.
Auf dieser Seite des Röstigrabens hielt sich das Interesse bisher in Grenzen. Leider. Denn der junge Lausanner schreibt nicht nur temporeich und süffig, er besitzt auch, was in der Schweizer Gegenwartsliteratur selten geworden ist: Humor.
Aber worum geht’s?
Die Welt als Lounge
Hauptfigur und Erzähler des Romans ist ein junger Schweizer auf der Flucht. Eigentlich sollte er Zivilschutz leisten. Stattdessen setzt er sich nach Frankreich ab.
Dazu fährt er als Anhalter bei einem Vermögensverwalter mit, der ihn so fasziniert, dass er beschliesst, sich ihm anzuschliessen.
Der Mann ist das Paradebeispiel des Jetsetters. Ein Erfolgsmensch, dessen Welt «in allen Punkten einer gigantischen Lounge gleicht», so wird er im Buch beschrieben. Einer, der für alles Verständnis heuchelt und selbst mit Faschisten kein Problem hat.
Hummus statt Schinken
Gemeinsam reisen die beiden in die französische Provinz, nach Vesoul. Dort lockt ein ominöser Kongress. Doch bevor der stattfinden kann, muss das Duo zahlreiche Eskapaden überstehen. Denn in Vesoul regiert der Wahnsinn.
Etwa am Literaturfestival, bei dem klassische Gedichte ein «Lifting» verpasst bekommen: Statt eines Schinkens baumelt da auf einmal Sojacreme-Hummus von der Decke. Aus Rücksicht auf anwesende Veganerinnen und Veganer.
Gegen jeden Ismus
Andernorts sieht es nicht besser aus: Militante «Tierfreunde» fordern die Ausrottung der Menschheit. Neonazis streiten für das Recht, in SS-Uniform herumzulaufen. Und betrunkene Euroskeptiker koten auf den Tisch, um es der EU so richtig zu zeigen.
Vor Mourons Satire ist niemand sicher, von pseudoauthentischen Biobauern über sexpositive Pfarrer bis hin zur Hisbollah. Der Autor betont in Interviews gerne, dass er sich gegen jedweden Ismus stellt.
Ewiggestrige gegen Kosmopoliten
Dem Roman liegt allerdings ein ernster Konflikt zugrunde. Nämlich derjenige zwischen der kosmopolitischen Elite, zu der der Vermögensverwalter zählt, und den Ewiggestrigen, die Le Pen wählen oder von einem Kalifat träumen.
Diese beiden Gruppen prallen im Buch mit voller Wucht gegeneinander: Als der Kongress endlich beginnen soll, kommt der Anschlag auf Charlie Hebdo dazwischen.
Falsche Solidarität
Prompt zieht Mouron die Solidaritätsbekundungen, die auf den Anschlag folgen, ins Lächerliche. Die Kongressteilnehmer bemühen sich, niedergeschmetterte Franzosen zu spielen. Und spüren dabei heimlich «eine Mischung aus Neugier und Vergnügen.»
«Vesoul, 7. Januar 2015» ist eine provokante Satire auf eine Gesellschaft, die zunehmend in verfeindete Gruppen auseinanderbricht und in der Schein mehr zählt als Sein.