Als die deutsche Wehrmacht 1940 in Brüssel einmarschiert, arbeitet der kleine Spirou als Hotelpage im Hotel Moustique. Wenig später zerstört eine Bombe das Hotel und Spirou muss ein neues Auskommen finden.
Fortan ziehen er und sein Freund, der arbeitslose Reporter Fantasio, mit einem Puppentheater von Dorf zu Dorf und erfreuen die Kinder mit einem munteren Stück, das den Kriegsalltag auf witzige Weise reflektiert.
Was Spirou und Fantasio nicht ahnen: Ihre Aufführungen sind Treffpunkte der belgischen Résistance.
Der kleine Hotelpage
Spirou ist die ewig jugendliche Comic-Figur in der roten Hotelpagenuniform. Er zählt neben Tim, Asterix und Lucky Luke zu den Ikonen des frankobelgischen Comics.
Seit 1938 wachsen Generationen mit Spirou auf. So auch der 1964 geborene Comicautor Émile Bravo. Mit «Spirou oder: die Hoffnung» erhielt er die Chance, eine eigene Spirou-Geschichte zu erzählen – und leistete dabei Einmaliges: Er stellt den kindlich naiven Spirou in die Zeit des Zweiten Weltkriegs und landet einen der erfolgreichsten Comic-Bestseller der letzten Jahre.
Kein Held, nur ein Kind
Émile Bravo widersteht der Versuchung, Spirou zum aktiven Helden zu machen. Weder vollbringt Spirou Heldentaten, noch leistet er aktiven Widerstand gegen die Nazis.
Bravos Spirou ist ein ganz normales Kind: naiv und von den Ereignissen überfordert. Dennoch versucht Spirou das Beste aus dem harten Alltag zu machen. Er hilft, wo er kann und kümmert sich um die Kinder im Quartier.
Nur langsam lernt Spirou, die grösseren politischen Zusammenhänge zu durchschauen.
Spirous Metamorphose
In «Spirou oder: die Hoffnung» erzählt Émile Bravo eigentlich zwei Geschichten: Zum einen entfaltet er auf 360 Seiten ein vielschichtiges und kritisches Panorama Belgiens unter deutscher Besatzung.
Zum anderen erzählt er Spirous Coming-of-Age: Der ursprüngliche, vom Zeichner RobVel geschaffene Vorkriegs-Spirou war eine flache Figur ohne Persönlichkeit. 1947 kehrte er, gezeichnet vom grossen Franquin, zurück: als komplexer, humanistischer Abenteurer.
Dazwischen lag der Zweite Weltkrieg. Für Émile Bravo ist klar, dass traumatische Kriegserfahrungen Spirou als Menschen haben reifen lassen.
Realistisch, ohne zu dramatisieren
Der Auslöser dieses Prozesses ist Spirous erste Liebe: Kassandra ist eine Jüdin und Kommunistin, die als Zimmermädchen und Spionin im Hotel Moustique arbeitet. Als sie nach Deutschland zurückkehren muss, wird sie verhaftet und interniert.
Mit der Hilfe eines aus Deutschland geflüchteten jüdischen Künstlerpaars rekonstruiert Spirou bruchstückhaft die Lage der Jüdinnen und Juden im dritten Reich: von Ghettos und Lagern ist die Rede. Was das bedeutet, ahnt zu diesem Zeitpunkt noch niemand.
Der Comic besticht durch seinen Realismus. Bravo schildert den Alltag mit seinen Entbehrungen und Bedrohungen, ohne zu beschönigen oder zu dramatisieren. Seine Zeichnungen – an die klare Linie eines Hergé angelehnt – beschwören die diffuse und bleierne Zeit mit Genauigkeit herauf, in atmosphärischen, trüben Farben.
Ein Comic über den Humanismus
Auch Spirous Reifeprozess vom kindlich naiven Antihelden zum selbstlosen jugendlichen Helden zeichnet Bravo sehr glaubhaft. Als hätte es ihn wirklich gegeben.
Beide Ebenen verknüpfen sich im Humanismus, den Bravo zum Kern der Tetralogie macht: Wie bewahrt der Mensch in düsteren Zeiten seine Menschlichkeit?