Ronja Fankhauser, 20, entspricht ziemlich genau dem Bild, das die Medien von der Generation Z vermitteln: Die non-binäre Autor:in kritisiert den Kapitalismus, engagiert sich in der Klimabewegung und versteht sich als feministisch.
Zumindest ein Teil der medialen Aufmerksamkeit dürfte deshalb eher auf Fankhausers Person als auf das Buch zurückzuführen sein. Das ist schade.
Denn «Tagebuchtage Tagebuchnächte» ist mehr als ein Generationenbuch. Es handelt von einer Erfahrung, die alle einmal gemacht haben: dem Erwachsenwerden.
«Ig gräne jedi Nacht»
Dafür hat Fankhauser rund 20 Bekannte nach Tagebüchern aus der Jugendzeit gefragt. Ausschnitte daraus bilden, zusammen mit Gesprächsabschriften, eine Erzählung. Sie ist in Themen unterteilt wie «verliebt sein» oder «traurig sein».
Da wird von Übergriffen erzählt, von Einsamkeit und Essstörungen. Fotos der Tagebuchseiten gewähren Einblick in die Gedankenwelt junger Menschen. «Ig gräne über es Jahr lang jedi Nacht», heisst es da etwa. Die schönste Zeit des Lebens sieht anders aus.
Raus aus der Vereinzelung
Berichtet wird zum Beispiel von Luna, deren Freund ihr für einen Instagrampost gegen ihren Willen die Zunge in den Hals steckt. Von Iris, die sich im Bastelunterricht mit der Schere die Hand blutig kratzt. Oder von einem Mobbingopfer, das wochenlang weinend im Bett liegt, ohne dass es die Eltern kümmert.
«Tagebuchtage Tagebuchnächte» ist ein überzeugendes Plädoyer dafür, die Leiden von Teenagern ernst zu nehmen. So dramatisch die Textausschnitte wirken, für die Jugendlichen sind die geschilderten Gefühle real.
Fast alle schreiben dabei davon, sich ausgeschlossen zu fühlen. Und merken nicht, dass es den anderen genauso geht. Ronja Fankhauser sieht die Schuld bei der Schule, die Jugendlichen nicht beibringt, über die eigenen Gefühle zu sprechen.
Wir 2000er – Im Videoporträt
Spiel mit der Biografie
Immer wieder flicht Fankhauser eigene Erlebnisse in den Text ein. Erzählt etwa davon, wie es ist, sich mit 15 zum ersten Mal zu verlieben – in eine Mitschülerin im Internat.
Damit folgt Ronja Fankhauser einem literarischen Trend: dem autofiktionalen Schreiben. Dabei arbeiten Schriftstellerinnen und Schriftsteller mit der eigenen Biografie. In den letzten Jahren haben etwa Maggie Nelson, Annie Ernaux oder Édouard Louis damit für Furore gesorgt.
Das ist erst der Anfang
Mit dem eindringlichen geschriebenen Debüt braucht sich die Autor:in vor diesen Kolleginnen und Kollegen nicht zu verstecken.
Es gelingt Fankhauser, die Leserschaft in eine Zeit zurückzuführen, in der man vieles zum ersten Mal und deshalb intensiver erlebt. Damit trägt das Buch dazu bei, den Graben zwischen den Generationen zu verringern.
«Tagebuchtage Tagebuchnächte» ist für Ronja Fankhauser aber erst der Anfang. Diesen Herbst beginnt die non-binäre Schriftsteller:in am Bieler Literaturinstitut zu studieren. Man darf also gespannt sein, was noch kommt.