Schon der erste Eintrag ist ein Paukenschlag. Sie solle «cool bleiben», bittet Manfred Krug seine Frau, die soeben seiner verheimlichten Geliebten begegnet ist. Mit dabei bei diesem Aufeinandertreffen war auch Krugs aussereheliches Baby.
Am selben Abend bittet Krug Ottilie, mit der er seit mehr als drei Jahrzehnten verheiratet ist, die Sache nicht öffentlich zu machen. Ottilie Krug hält sich daran. Die Geschichte wird erst Jahre später publik.
Existenzielle Erfahrungen
Krugs Doppelleben ist der Startschuss des neuen Tagebuch-Bandes «Ich sammle mein Leben zusammen», zwei weitere Bände sollen folgen. Dieses Doppelleben ist aber nur eine von mehreren existenziellen Geschichten, die den Schauspieler und Sänger damals umtreiben.
Eine zweite sind die Krebserkrankung und der frühe Tod des besten Freundes Jurek Becker, eine dritte der Schlaganfall im Frühsommer 1997, von dem sich Krug nur langsam erholt.
Die vierte Geschichte ist schliesslich Krugs zunehmender Unmut gegenüber dem Fernsehbetrieb mit seinen uninspirierten Drehbuchautoren, schlechten Werbetextern und einer übermotivierten, aber scheinbar unterbegabten Tatort-Regisseurin.
Ein grossartiger Erzähler
Das alles ist sehr unterhaltsam und gut geschrieben. Manfred Krug ist nicht nur ein erfolgreicher Schauspieler und begnadeter Sänger, sondern auch ein grossartiger Erzähler. Dieses schriftstellerische Talent ist seit den 1990er-Jahren bekannt. Auch das ist Thema in diesem Tagebuch.
Das Tagebuch stammt aus der Zeit, in der Krugs erstes Buch «Abgehauen» erscheint. Darin beschreibt Krug, wie er nach der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann aus der DDR 1976 selbst einen Ausreiseantrag stellte. Das Buch beschreibt den Weg bis zu seiner tatsächlichen Ausreise 1977.
Die Rolle des Künstlers in der DDR
«Abgehauen» enthält die Abschrift eines Streitgesprächs über Biermanns Wiedereinreiseverbot. Mit dabei bei dieser Diskussion in Krugs Haus sind hochrangige DDR-Funktionäre und namhafte ostdeutsche Schriftstellerinnen und Schauspieler wie Stefan Heym, Christa Wolf und Heiner Müller.
Krugs Buch löst Mitte der 1990er-Jahre eine Debatte über die Rolle von Künstlerinnen und Intellektuellen in der DDR aus. Jetzt – ein Vierteljahrhundert später – können wir diese Debatte in Manfred Krugs Tagebuch nachverfolgen.
Witzig, ironisch, vernarrt
Der Reiz des Buches liegt aber in der Figur Manfred Krug selbst. Seine Sprache ist dermassen authentisch wiedergegeben, dass man beim Lesen immer seine Stimme hört.
Krugs Witz, seine Ironie und vor allem die komplette Vernarrtheit in die neugeborene Tochter treten in diesem von Krista Maria Schädlich sorgsam lektorierten Buch wunderbar hervor.