Wir sind im Jahr 2021. In einem nicht näher bezeichneten deutschen Bundesland gewinnt ein gewisser Rudolf Peters, ein Populist mit faschistischem Parteiprogramm, die Parlamentswahl. Peters’ Partei ist jetzt die stärkste Kraft im Landtag.
Dies ist die Ausgangslage von Bernhard Schlinks erstem Theaterstück mit dem Titel «20. Juli», einem «Gedankenspiel», wie er es selbst bezeichnet. Der Autor ist insbesondere durch seinen vor über 25 Jahren erschienenen Bestsellerroman «Der Vorleser» über Fragen von Schuld und Verantwortung im Dritten Reich international bekannt geworden.
Reaktion auf die Welt von heute
Mit «20. Juli» reagiert der inzwischen 77-jährige Autor nun offenkundig auf den Umstand, dass die Demokratie mancherorts durch Rechtspopulisten und Autokraten unter Druck geraten ist. Schlink unterlässt allzu deutliche Bezüge zur Realität.
Doch dem Stück liegt die aktuelle und politisch brisante Frage zu Grunde: Was geschieht, wenn die Demokratiefeinde selbst an die Macht gelangen? Es ist denn auch diese Frage, welche in «20. Juli» eine Gruppe Maturandinnen und Maturanden umtreibt.
Sie sind die Hauptfiguren. Wird der Rassist und Volksverhetzer Peters schon bald die ganze Macht im Staat übernehmen und sein Programm des Hasses gegen alles vermeintlich Nicht-Deutsche in die Tat umsetzen?
Historische Referenz
Unter den Schulabgängern entbrennt eine heftige Diskussion. Sie bildet den roten Faden des Stücks. Ihren Ausgangspunkt nimmt sie in der letzten Geschichtsstunde der Jugendlichen.
Und diese findet – zufälligerweise – ausgerechnet am historisch aufgeladenen 20. Juli statt. An jenem Tag also, als 1944 unter der Führung von Claus Schenk Graf von Stauffenberg ein Bombenattentat auf Adolf Hitler sein Ziel verfehlte. Und als damit der bedeutendste Umsturzversuch gegen das Nazi-Regime kläglich scheiterte.
«Wenn es damals richtig war», sagt einer der Schüler in Schlinks Stück, «Hitler umzubringen, damit er Jahre später kein Unheil anrichtet, ist es heute richtig, Peters umzubringen, damit er Jahre später kein Unheil anrichtet. Dass er Unheil anrichten wird, wissen wir.»
Pflicht zum Anschlag?
Ist es gar die moralische Pflicht eines jeden Demokraten, einen Tyrannen – präventiv – unschädlich zu machen? Es gibt Gegenstimmen: «Das Strafrecht und das Völkerrecht erlauben kein präventives Zuschlagen.»
Nichts gebe einem Attentäter das justiziable Recht, zum Mörder zu werden. Auch nicht eine vermeintlich «gute Absicht». Hinzu kommen Zweifel, ob sich ein allfälliger Opfertod für die Sache der Demokratie überhaupt lohnt.
«Ein erfülltes Leben», sagt eine der Figuren, sei immer möglich, «wie immer es um das Land steht, demokratisch oder autoritär».
Das Komplott
Trotz aller Einwände wächst unter den jungen Leuten im Laufe des Stücks die Überzeugung, dass Peters beseitigt werden müsse. Und zwar so schnell als möglich. «Wir müssen rausfinden, wo er wohnt, wo er joggt, in welchen Biergärten er trinkt, welche Wege er nimmt, einfach alles. Wir fangen morgen an.»
Ob die Maturanden tatsächlich zur Tat schreiten, bleibt am Ende offen. Ein Brandanschlag kommt dazwischen. Rechte Horden haben ein Haus mit Eritreern angezündet. Die Bevölkerung schaut zu. Auch dies eine beklemmende Referenz an die Gegenwart.