Er ist wieder da: Mordechai «Motti» Wolkenbruch, die weit herum bekannte Figur aus Thomas Meyers erfolgreichem Romandebüt «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» von 2012. Die Filmversion ist der offizielle Schweizer Vorschlag für eine Oscar-Nominierung in der Kategorie «Bester fremdsprachiger Film».
Im neuen Roman «Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin» ist die Ironie erneut Programm. Doch Thomas Meyer legt ein Scheit nach.
Nun greift die Handlung deutlich über das jüdische Milieu hinaus und nimmt satirisch Gesellschaft und Politik ins Visier: Rassismus, Populismus, digitale Manipulation der öffentlichen Meinung.
Die jüdische Verschwörung
Die Geschichte beginnt damit, dass Motti von Zürich nach Israel gelangt, nachdem er aufgrund seiner Liebe zu einer Nicht-Jüdin von der Familie verstossen worden ist.
Motti findet Anschluss in einem Kibbuz, bei einer chaotisch-fröhlichen Gruppe junger Jüdinnen und Juden. Die jungen Leute verbindet ein Geheimnis: Sie tragen sich mit Plänen, eine jüdische Weltherrschaft zu errichten.
Motti ist irritiert, dass «diese uralte antisemitische Verschwörungstheorie wahr sein soll». Doch er ist zu sehr verunsichert, als dass er sich noch absetzen könnten – und er schliesst sich wohl oder übel den Verschwörern an.
Das Klischee demaskieren
Wie bereits im Vorgängerroman greift Thomas Meyer mit Topoi wie dem jüdischen Weltherrschaftsstreben erneut übelste antisemitischen Klischees auf. Geradezu schelmisch nimmt er sie in seinem Roman vermeintlich für bare Münze, steigert sie bis zur Absurdität und gibt sie der Lächerlichkeit preis.
Das zeigt sich etwa, als die vom Herrschaftsstreben besessenen Kibbuz-Bewohner über einen ihrer Agenten in den USA den Amazon-Roboter Alexa manipulieren: Er empfiehlt den Menschen rund um den Planeten ausschliesslich jüdisches Essen, jüdische Musik und jüdische Literatur.
Das Judentum als globale Leitkultur! Man muss laut lachen. Zu entfernt ist die bittere Realität.
Nazis am Werk
Ähnlich verhält es sich mit der zweiten Verschwörung im Roman – von fiktiven Nazis, die sich nach 1945 in eine Alpenfestung zurückgezogen haben und bis heute im Verborgenen für eine Wiedergeburt des NS-Staates arbeiten.
Im Roman sind die eingebunkerten Nazis die wahren Erfinder des Internets und des Smartphones. Diese heissen bei Meyer ironisch «Volksnetz» und «Volksrechner».
Dank der digitalen Technik werde man die Entscheidungsschlacht gegen alle Juden und ideologischen Abweichler gewinnen, schreien die Nazis bei Aufmärschen im Verborgenen: «Sieg digital! Sieg digital! Sieg digital!»
Ein von den Nazis entwickeltes Computerprogramm – genannt «Hassmaschine» – verbreitet massenweise Fake News und verleumderische Kommentare. In der Folge kühlt sich das weltpolitische Klima ab. Der Boom des Jüdischen hat ein jähes Ende. Ein Weltkrieg scheint unvermeidbar.
Die Welt am Pranger
Thomas Meyer ist mit dem neuen «Wolkenbruch»-Roman ein ebenso unterhaltsamer wie tiefsinniger Roman gelungen. Er überzeugt durch seine bizarren Überzeichnungen, die sich in rasantem Tempo überschlagen und die moderne Welt in ein närrisches Figurentheater verwandeln.
Die Welt als monströse Groteske: In grellen Farben scheint der Wahnsinn auf, der längst Teil unserer Gegenwart ist.