Er riecht nach Zahnpasta. «Das wird aber kein Interview? DIE Form ist für mich tot.» Tom Kummer steht vor dem Hotel Bellevue. Bern. Brille. Bomberjacke. Seine Jeans hat er so weit hochgekrempelt, dass sie den Schriftzug auf die Socken freigibt. «Check me out.»
Bitte lächeln
Gleich. Im Bellevue setzt ihn der Fotograf erst mal auf die Treppe, breitbeinig. «Bisschen Hollywood», meint Kummer, der vor bald 20 Jahren über frei erfundene Interviews mit Stars aus dem Show-Business stolperte. Brad Pitt, Courtney Love: Er hat sie verdammt gut, aber leider nie persönlich getroffen. «Sie dürfen auch lachen», sagt der Fotograf. Kummer zeigt seine frisch geputzten Zähne.
Nach dem Shooting mustert Kummer das Oversize-Osternest in der Hotel-Lobby. «Die Deko ist Fake.» Kennerblick. Tags zuvor hatte er in Leipzig aus seinem neuen Buch gelesen. «Nina & Tom» – ein Liebesroman. Kummers Ode an seine Frau, die er an den Krebs verlor. Ein Leben im Sauseschritt, das Sterben als stilisierte Reality-Show im Kummer-Sound. Zart. Hart. Tragisch. Komisch.
SRF: «Sie wird mich umbringen, wenn sie dieses Buch jemals liest», heisst es gleich zweimal in Ihrem neuen Roman. Ihre Angst vor dem Sterben wird nicht kleiner geworden sein?
Tom Kummer: Nina hatte eine spitze Zunge und eine amüsant-destruktive Art, jemanden fertig zu machen. Ich konnte sie nie fragen, ob sie mit meinem Buch einverstanden sei.
Nach 30 Jahren Ehe wird sie gewusst haben, dass Sie keine Hemmungen haben.
Nina war realistischer als ich. Und mehr der Wahrheit verpflichtet als ich.
«Nina & Tom» wird als Roman verkauft. Sie haben doch nicht etwa aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt?
Der Vorschlag kam vom Verlag. Da wusste man: Ein Roman gibt mir mehr Freiheit.
Weil ein Roman nicht vom Faktenchecker lektoriert wird?
Der Kreis schliesst sich. Ich kam durch Zufall zum Journalismus. Dank einer Geschichte die ich der «Transatlantik» schickte – dem Magazin, das Hans Magnus Enzensberger herausgab. Die Story fiel den Machern des neuen Lifestyle-Magazins «Tempo» auf. Die wollten meine Direktheit. Meine Authentizität. Die Porentiefe.
Glaubt man dem Buch, soll Ihre Frau Sie vom Tagebuch-Schreiber zum Journalisten gemacht haben. Ein hübscher Gründungsmythos?
Ich war ein unzufriedener Jung-Künstler in Berlin, der seine Form nicht fand. Nina hatte die «Transatlantik» für mich entdeckt. Die fand sie gut. «Tempo» dann weniger.
Nina im Buch hasst die Hochglanz-Zeitgeist-Magazine, für die Sie schreiben.
Nina war «Indie». Sie war moralischer als ich. Besänftigen konnte ich sie nur, indem ich sie auf die Reisen mitnahm.
Waren Sie von der «Gier nach Ruhm» getrieben, die Sie sich im Buch von Ihrer Frau vorwerfen lassen?
Sie definierte Ruhm anders. Nina wollte nie Karriere machen. Ich hatte Lust, mit meinen Texten Erfolg zu haben.
Sie nennen Nina einmal «meine Erfindung». Meldet sich da die Allmacht des Autors zu Wort?
Ich verwende Bestandteile aus der Realität. Ich habe nicht eine Nina erfunden, die nicht existierte. Ein Freund, der im Roman auch vorkommt, hat mir gesagt, er könne kaum glauben, wie präzise ich gerade die Zeit in Barcelona beschrieben hätte, wo ich Nina kennen lernte.
Ich wollte das Feeling transportieren, das ich hatte. Und das konnte ich.
Präzision: Ist das ein Kompliment im Kummerland?
Ich war immer präzise. Superpräzise. Ich rede jetzt nicht von den Fake-Interviews. Sondern von den Reportagen. Ich wollte das Feeling transportieren, das ich hatte. Und das konnte ich.
Sie zeichnen sich als schrill-schräges Paar mit viel Wirkung in der Wirklichkeit. Andererseits kokettieren Sie mit der Kummer-Skepsis der «Scheissaussenwelt» gegenüber. Wie geht das zusammen?
Baudrillard, Virilio: Das ist mein philosophischer Bodensatz. Aber schon bei den ersten «Tempo»-Geschichten wurde mir klar: Medien konstruieren Wirklichkeit. Ich hatte immer Lust, den Leser zu verführen. Ihm zu erklären: Was du liest, ist eine verfremdete Realität.
Natürlich wollte ich das Wahrheitsmonopol der Medien erschüttern.
Im Roman versuchen Sie, Nina früh mit dem Satz zu beeindrucken: «Ich habe Pläne, ein Nachrichtenmagazin unterwandern.» Das tönt leider wieder nach Masterplan und Grössenwahn.
Natürlich wollte ich das Wahrheitsmonopol der Medien erschüttern. Jean-Luc Godard liess in «A bout de souffle» seine Schauspieler in die Kamera reden.
Das war monumental: Godard macht den Zuschauern bewusst, es handle sich um einen Film. Diesen pointierten Bruch habe ich gesucht.
Sie legten diese Bruchstellen allerdings gerade nicht offen?
Ich hätte mich meinen Redakteuren offenbaren sollen. Beide Seiten haben darüber nicht gesprochen. Dazu ist alles gesagt.
Kummers Kaffeetasse ist leer, sein Blick auch. Zum ersten Mal. Seltsame Frage, die wirklich letzte: Ob er die Zitate autorisieren möchte? Er schüttelt den Kopf. «Es wäre aber schön, Ihre Stimme zu hören», sagt Kummer noch. Ein warmes Lächeln, ein fester Händedruck – und plötzlich ist er weg.