Es brennt in Heilbronn: In der deutschen Stadt liefern sich Neonazis und Ausländer blutige Strassenschlachten. Es ist ein fiktives Szenario, das der junge Deutschtürke Cihan Acar in seinem Roman «Hawaii» beschreibt.
Acar ist sich aber sicher, dass dieses Szenario Realität werden könnte. Zu lange hätten Deutsche und Türken aneinander vorbeigelebt. Nun verhärte sich die Situation.
SRF: Sie haben türkische Wurzeln, leben in Deutschland. Was tun Sie, wenn Sie in Ihrem Alltag dem Fremdenhass begegnen?
Cihan Acar: Ich resigniere immer mehr. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass man sich lediglich aufgrund der Hautfarbe oder der Herkunft anderen Menschen überlegen fühlen kann. Diese Denkweise nimmt zu. Umso verzweifelter fühlt man sich.
Seit den 1960er-Jahren sind Türkinnen und Türken in grosser Zahl nach Deutschland eingewandert. Rund drei Millionen der rund 81 Millionen Bürgern in Deutschland sind türkischstämmig. Hat die Integrationspolitik versagt?
Die Einwanderung war nie auf Dauer angelegt, weder von türkischer noch von deutscher Seite. Die Wirtschaft brauchte damals einfach Arbeitskräfte, und es gab keine Veranlassung zur Vermischung.
Die Deutschen, das waren die Anderen.
Aus der geplanten Rückkehr wurde jedoch nichts. Im Gegenteil: Über die Jahrzehnte wuchs die Zahl der Einwanderer stark an. Sie leben jedoch noch immer abgeschottet von der Mehrheitsgesellschaft.
Ich kann nicht sagen, wer dafür verantwortlich ist. Aber beide Seiten scheinen sich damit abgefunden zu haben. Der fehlende Austausch ist das Hauptproblem.
Wie haben Sie diese Situation persönlich erlebt?
Ich hatte von klein auf zwei verschiedene Freundeskreise, einen türkischen mit den Jungs in meiner Nachbarschaft, und einen deutschen mit einigen Klassenkameraden in der Schule, die einheimische Eltern hatten. Interessanterweise haben sich diese beiden Freundeskreise nie durchmischt. Ich lebte in zwei parallelen Welten.
Und welcher fühlten Sie sich mehr zugehörig?
Anfänglich klar der türkischen. Die Deutschen, das waren die Anderen. Wir Türken, so dachte ich, bleiben bei unseren Wurzeln und unseren Traditionen. Heute ist es anders.
Ich bin immer noch stolz auf meine Abstammung, aber ich sehe die deutsche Kultur nicht mehr als etwas Fremdes. Ich bin ein Teil von ihr, schliesslich habe ich praktisch mein ganzes Leben in Deutschland verbracht.
In Ihrem Roman «Hawaii» schildern Sie, wie zwischen rechten Ausländerfeinden und türkischen Migranten in der Stadt Heilbronn ein Konflikt eskaliert und in blutigen Strassenschlachten endet. Wie sehr fürchten Sie, dass diese Schilderung Realität wird?
Sehr. In den letzten Jahren ist die Fremdenfeindlichkeit in Deutschland vermehrt in Mord und Terror umgeschlagen. In meinem Roman versuche ich denn auch zu zeigen, wohin die gegenwärtige Entwicklung führen kann.
Was ist der Grund für diese Verhärtung?
In Deutschland gehört es mittlerweile zum Alltag, dass rechte Politiker öffentlich gegen Minderheiten hetzen. Dies führt dazu, dass sich immer mehr Menschen trauen, in diesen Chor einzustimmen. In Gesellschaften, wo dies passiert, ist die Grenze zur Gewalt schnell überschritten.
Wir beobachten dies aktuell in den USA, wo ein Präsident an der Macht ist, der nicht auf Harmonie und Frieden setzt, sondern ganz bewusst auf Spaltung und Hetze. Das Resultat sehen wir täglich in den Medien: Unruhen und Gewalt.
Was braucht es, um die Gewaltspirale zu stoppen?
Den Mut, aufeinander zugehen. Und den Willen, Lösungen zu finden, damit unterschiedliche Gruppen vernünftig zusammenleben können.
Das Gespräch führte Felix Münger.