Dass weibliche Figuren in Büchern von männlichen Autoren zu platt und oberflächlich wegkommen: Darüber machen sich auf Twitter derzeit viele Frauen lustig. Indem sie sich so beschreiben, wie ein männlicher Autor es tun würde – als wandelnde Trägerinnen von Brüsten, Po und zu enger Kleidung.
Kirschlolli-Lippen und drapierte Brüste
Die Welle ins Rollen gebracht hat anfangs April ein Tweet der Autorin Gwen C. Katz. Sie reagierte auf die Aussage eines Schriftstellers, er könne authentische Frauen entwerfen, auch wenn er selbst keine Frau sei.
Sein Roman ist allerdings – wie Katz mit einschlägigen Auszügen belegt – an sexualisierten Beschreibungen der Protagonistin kaum zu überbieten.
Mit Humor und Häme reagieren Frauen auf Katz' Tweets: Indem sie satirische Beschreibungen ihrer selbst aus männlicher Sicht verfassen. Verdrehte Prosa über ihre «boobey-shaped boobey boobs» – und das nebensächliche Drumherum namens Persönlichkeit.
Die Journalistin Talia Lavin spöttelt auf Twitter, wie unbeholfen selbst literarische Urgesteine werden können, wenn sie Frauen beschreiben. In ihrem Thread zerpflückt sie augenzwinkernd das Frauenbild von Jonathan Franzen oder Jack Kerouac anhand von Auszügen aus deren Werken.
Zu dick, zu alt, zu intelligent
Ein Klischee das für besonders viel Unmut sorgt: Nicht-weisse Leserinnen thematisieren, wie sie sich in der Literatur bloss als «exotische Schönheit» abgekanzelt wiederfinden.
Andere Userinnen zielen mit ihren Tweets auf die Gründe ab, weshalb sie in Büchern männlicher Autoren kaum vorkommen würden: Weil sie zu alt, zu dick, zu intelligent sind, um ins stereotype Schema von Weiblichkeit zu passen.
Der wahre Kern der Parodie
Neigt Literatur dazu, die immer gleichen Bilder von Frauen zu wiederholen? Ja, mag man spontan denken, wenn man sich an die Klassiker aus der Schulzeit erinnert.
Schön oder hässlich, jung oder alt, jungfräulich oder verrucht, fromm oder hysterisch – und am Ende meist tot: Wenn Frauen beschrieben werden, wünscht man sich als Leserin oft, dass Goethe, Frisch und Co. noch einmal über die Bücher gegangen wären.
Auch wenn man Verlagstexte und Besprechungen zu aktuellen Romanen liest, scheint eine «starke Frauenfigur» nicht als selbstverständlich zu gelten – sondern als ein Alleinstellungsmerkmal, das man betonen muss und vermarkten kann. Täuscht dieser Eindruck?
Oft auf das Äussere reduziert
«Es gibt tatsächlich eine lange kulturelle Tradition, in der Frauen auf das Äussere reduziert werden – in der Werbung, im Film und eben auch in der Literatur», sagt die Literaturwissenschaftlerin Barbara Straumann von der Universität Zürich. «Ihre Subjektivität, ihr Begehren, ihre Fantasien oder ihr Intellekt sind nicht von Interesse.»
Typisch dafür sind etwa Liebesgedichte, in denen weibliche Körper in Fragmente zerlegt und geradezu katalogisiert werden: «Gesicht, Haare, Augen, Mund, Brüste». Zudem sei der literarische Kanon gespickt mit stereotypen Darstellungen von Frauen: «etwa die Heilige gegenüber der Hure.»
Ganz schön oder ganz schön schrecklich
Treffend hätte Virginia Woolf 1929 die üblichen Frauenrollen in der Literatur beschrieben: Es handle sich um «astonishing extremes of beauty and horror», verblüffende Extreme von Schönheit und Schrecken. «Die Frau wird überhöht und idealisiert – oder sie ist monströs und verrückt, weil sie gegen Normen verstösst», ergänzt Barbara Straumann.
Überlässt der literarische Kanon also das Feld verklärenden Frauenbildern und misogynen Stereotypen? So einfach sei es nicht, winkt Barbara Straumann ab. Literarische Texte seien ästhetisch komplex.
Ein Beispiel ist der Klassiker unter den literarischen Männerfantasien: In «Lolita» werde der Körper eines jungen Mädchens aus Sicht des pädophilen Erzählers in seinen Einzelheiten beschrieben – dieser Blick aber gleichzeitig stark ironisiert. «Wie Lolita beschrieben wird, gibt sicher nicht eins zu eins wieder, wie Vladimir Nabokov Frauen wahrnimmt.»
Abgesehen davon mangle es in der Literaturgeschichte nicht an starken Heldinnen, betont Straumann.
Vielschichtige Heldinnen? Es gibt sie doch
Keine Frage: Es gibt sie, die vielschichtigen, lebendigen, fesselnden Frauencharaktere – gestern wie heute, in Büchern von Schriftstellern ebenso wie von Schriftstellerinnen.
Aber vielleicht gibt es noch nicht genug davon. Unter dem Hashtag #OwnVoices stehen Leserinnen und Autoren für mehr Diversität in der Literatur ein – auch was das Geschlecht anbelangt.
Literatur lebt davon, hinterfragt zu werden. Vielleicht sollten wir uns das auch in Bezug auf Frauenbilder zutrauen, beim Reden über und beim Lesen von Büchern. Respekt vor dem Geschriebenen geht auch ohne Samthandschuh. Ein wenig beissender Humor – wie ihn Twitter-Userinnen gerade unter Beweis stellen – kann nicht schaden.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 12.4.18, 17.40 Uhr