Weg aus dem geschäftigen Silicon Valley, ab in die einsamen Smoky Mountains. Dieser Umzug hat dem preisgekrönten Schriftsteller Richard Powers die Ruhe gegeben, das Leben jenseits des modernen Menschen wiederzuentdecken. Für Powers ist klar: Wir Menschen müssen aufhören, uns für «über der Natur stehend» zu halten. Denn wir haben mehr mit Tieren und Bäumen gemeinsam, als uns bewusst ist.
SRF: In Ihren letzten beiden Büchern schreiben Sie viel über die Natur. Der Mensch habe den Bezug zur Natur und ihren Lebensformen verloren, sagen Sie. Weshalb?
Richard Powers: Früher habe ich im Herzen des Silicon Valley gewohnt, nur wenige Minuten von Google, Facebook und Co. entfernt. An diesem sonderbaren Ort wurde mir bewusst, wie lebensfern unsere Realität ist.
Immer wieder wird in diesen Kreisen behauptet, dass man das «Problem Tod» bald lösen werde. Das sei nur eine Frage der Zeit. Es deprimiert mich wirklich, so etwas zu hören. Denn der Tod ist kein Konstruktionsfehler des Lebens.
Warum deprimiert Sie die Aussicht auf die Abschaffung des Todes? Wäre dies nicht eine ungeheure Befreiung?
Zunächst ist die Abschaffung des Todes reine Fantasie. Die Wissenschaft wird nie in der Lage sein, den Tod zu überwinden.
Anstatt den Tod abzuschaffen, sollten wir uns wieder dem Leben zuwenden.
Wichtiger ist aber: Es ist der Tod, der erst Evolution, Vergnügen und Existenz möglich macht. Ohne den Tod ist nichts von Bedeutung. Er gibt dem Leben erst einen Sinn. Anstatt den Tod abzuschaffen, sollten wir uns wieder dem Leben zuwenden. Und zwar dem Leben, in das wir immer schon eingebunden waren und das wir mit zahlreichen nichtmenschlichen Wesen teilen.
Sie kritisieren den Glauben an die Einzigartigkeit des Menschen. Unterscheidet sich der Mensch denn in seinem Verstand nicht von Tieren und Pflanzen?
In unsere Kultur hat sich die Überzeugung eingeschlichen, dass wir Menschen einzigartig und getrennt von der restlichen Natur existieren. Wir meinen, die einzig intelligenten Wesen zu sein und behandeln die Natur wie eine Ansammlung von Waren. Als wäre sie für unsere Zwecke geschaffen.
Bäume bilden Gemeinschaften und haben ein Erinnerungsvermögen.
Tatsache ist aber, dass alle Wesen der Natur ein unglaublich komplexes Verhalten an den Tag legen. Wir lernen jeden Tag mehr, von welch unglaublicher Vielfalt die Natur geprägt ist. Das wurde mir schlagartig bewusst, als ich zum ersten Mal die jahrtausendealten Mammutbäume bei Santa Cruz sah. Diese Bäume bilden Gemeinschaften, haben ein Erinnerungsvermögen und verfügen über ein Immunsystem.
Der Philosoph Emanuele Coccia macht keinen Rangunterschied zwischen einer Eiche, einer Katze, einem Menschen oder einem Einzeller. Alle Lebewesen sind «ein einziger Körper». Ist es das, was Ihnen vorschwebt?
Ich bewundere Coccia und seine Arbeit. Denn einerseits müssen wir tatsächlich unsere Verwandtschaft mit allem Natürlichen betonen. Das beginnt bei unserer DNA, die wir mit anderen Wesen teilen. Andererseits sollten wir andere Wesen in ihrer wundervollen Einzigartigkeit wahrnehmen.
Wir sind weder die Herren noch die Bewahrer der Natur. Wir leben in ihr.
Wir müssen uns verabschieden von der gegenwärtigen Kultur des Separatismus. Seit es den Menschen gibt, interagiert er mit dem Wald und der nichtmenschlichen Natur. Wir Menschen sind weder die Herren noch die Bewahrer der Natur. Wir leben in ihr.
Ihre Bücher sind ein Aufruf, der Natur mit Interesse, Empfindsamkeit und Respekt zu begegnen. Doch nun droht die Klimakrise – oder glauben Sie noch an eine Wende?
Der Mensch wird den Klimawandel in den Griff bekommen – es bleibt ihm keine andere Möglichkeit. Offen ist aber die Frage, wie viel Leiden damit einhergehen wird.
Selbst wenn wir Menschen untergehen sollten – das Leben selbst wird nicht aussterben. Denn dafür ist das Leben viel zu anpassungsfähig.
Die Fragen stellte Olivia Röllin. Das Interview ist die gekürzte Fassung eines längeren Gesprächs, das im Rahmen der «Sternstunde Religion» geführt wurde.