Im Staat Gilead herrscht ein christlich-fundamentalistisches Regime, das sich gewaltvoll an die Macht geputscht hat. Umweltzerstörung und atomare Katastrophen haben einen grossen Teil der Bevölkerung unfruchtbar gemacht. Die Bevölkerung ist in herrschende und dienende Klassen eingeteilt.
Über den Sicherheitsapparat und Spitzel werden Oppositionelle ausfindig gemacht, verstümmelt oder gehängt. Gilead hat aber ein Problem: Die Bevölkerung stirbt aus.
Die wenigen fruchtbaren Frauen hausen als Mägde in Haushalten der herrschenden Klasse. Dort dienen sie nur einem Zweck: Sie sollen die Kinder des Hausherrn gebären.
Kinder aus der dienenden Klasse werden den Müttern und Vätern entrissen und in Familien der herrschenden Klasse platziert.
Zunehmend konservativ
Die 1980er-Jahre, in denen Margaret Atwood ihren Roman «Handmaid’s Tale» schrieb, waren prägend für ihre Geschichte. Die Kanadierin beobachtete gerade im Nachbarland USA eine zunehmend konservative Gesellschaft.
Der republikanische Präsident Ronald Reagan war ein vehementer Verfechter der traditionellen Familie. Die christliche Rechte erstarkte und Anti-Abtreibungs-Bewegungen nahmen zu.
Fiktion, aber nur fast
Der Staat Gilead klingt wie Fiktion, hat seine Wurzeln aber in der Wirklichkeit. Atwood orientierte sich vor allem den Diktaturen des 20. Jahrhunderts.
An der Familienpolitik des Diktators Nicolae Ceaușescu etwa, der zwischen 1965 und 1989 in Rumänien herrschte. Ceaușescu wollte die Bevölkerungszahl in seinem Land stark steigern. Jede Frau sollte daher mindestens vier Kinder gebären. Hatte sie dieses Ziel noch nicht erreicht, waren ihr Abtreibung und Verhütungsmittel verboten und wurden unter Strafe gestellt.
Hauptsache Kinder gebären
Die Militärjunta, die von 1976 bis 1983 in Argentinien herrschte, betrieb eine Familienpolitik, in der nur die loyalen Bürger das Recht auf Kindererziehung genossen.
Oppositionelle wurden inhaftiert, gefoltert und ermordet. Deren Kinder wurden ihnen weggenommen und in regimetreue Familien gegeben.
Auch das Dritte Reich bot eine umfassende Vorlage für Atwoods Roman. Adolf Hitler plante mit der Schaffung einer physisch und zahlenmässig überlegenen «Herrenrasse» die Weltherrschaft zu erlangen.
Wer der SS angehören wollte, musste einen sogenannten Ariernachweis erbringen. SS-Angehörige sollten mit ihren Frauen möglichst viele Kinder zeugen und wurden ermuntert, aussereheliche Affären zu pflegen. Im Verein «Lebensborn» kümmerte man sich um die alleinstehenden Mütter und ihre Kinder.
«Rassisch und erbbiologisch wertvoll»
Voraussetzung für die Aufnahme in «Lebensborn» war, dass diese Frauen «rassisch und erbbiologisch wertvoll» waren, also blond, blauäugig und ohne jüdische Vorfahren.
Zur weiteren Beschleunigung der Erschaffung dieser «Herrenrasse» wurden in den besetzten Ostgebieten blauäugige und blonde Kinder entführt.
«Handmaid's Tale» schrieb Margaret Atwood in den 1980ern, doch das Buch bleibt auch jetzt, 40 Jahre später, aktuell. Seit der Wahl des US-Präsidenten Donald Trump und seinem christlich-konservativen Vizepräsidenten Mike Pence häufen sich in den USA Proteste, die sich für den Erhalt demokratischer Freiheiten wie etwa des Abtreibungsrechts einsetzen.
Bei diesen Protesten sieht man nicht selten Frauengruppen in roten Gewändern und mit weissen Hauben auf dem Kopf, die das Gesicht verdecken – das unverkennbare Gewand, das die Mägde in Gilead tragen müssen.