«Rowan Oak» heisst das Herrenhaus in Oxford, Mississippi, das William Faulkner schon gekauft hat, als er 1934 die Arbeit am Manuskript von «Absalom, Absalom!» beginnt. Zwei Jahre wird es dauern, bis aus ein paar Kurzgeschichten und ein paar Figuren um den Infanterie-Colonel Thomas Sutpen der grosse Roman des amerikanischen Südens entsteht. Faulkner schreibt eine Parabel. Es geht um Aufstieg und Fall des Thomas Sutpen. Und es geht um die Geschichte der Südstaaten.
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Inzest, Homosexualität, Rassenkonflikt
Es beginnt mit 100 Quadratmeilen Land in Jefferson, Mississippi und einem Herrenhaus, das der Aussenseiter Sutpen 1833 darauf bauen lässt. Der Ort ist fiktiv, das Geschehen verwirrend und verhängnisvoll: Der Plantagenbesitzer und Gründer einer Dynastie, betreibt zugleich ihren Verfall. Der Sohn Henry und die Tochter Judith sind in Zuneigung verbunden, als Charles Bon in Jefferson erscheint, der unbekannte Halbbruder Henrys aus einer früheren Beziehung Sutpens mit einer Frau aus Haiti.
Eine Konstellation aus Inzest, Homosexualität und Rassenkonflikt ist gestellt, die den Verfall der Familiengeschichte bestimmt. Der amerikanische Bürgerkrieg treibt ein Geschehen, an dessen Ende das biblische Motiv des Brudermords steht und der Brand des Herrenhauses: «Sutpens Hundred», das Haus ist Geschichte.
Geschichte über ein halbes Jahrhundert
«Die Vergangenheit ist niemals tot. Sie ist noch nicht einmal vergangen», sagt Faulkner. Das ist sein Motiv. Vielstimmig wird die Geschichte erzählt, die sich weit über ein halbes Jahrhundert erstreckt. Ein Roman im Rückblick. Es gibt wechselnde Perspektiven, Rückblenden und Zeitsprünge. Es gibt Abweichungen und Wiederholungen und immer neue Details. Alles kann so gewesen sein und doch ganz anders. Trotz Lageplan, Personenregister und Chronologie. Alles fliesst ineinander, Erzählung und Nacherzählung, Erinnerung und Hörensagen. Alles hat Platz in einer unerhört aufwendigen Komposition. Und, es gibt nur Versionen, Versionen der Wahrheit.
«Es ist der Blick eines Menschen, der mit dem Rücken zur Fahrtrichtung in einem offenen Auto sitzt», urteilt Sartre über Faulkners Methode. Alles ist Gegenwart. Alles ist Vergangenheit und geschieht doch jetzt. Faulkner lesen heisst, sich treiben lassen im Fluss der Sätze, im Klang der Sprache, im Bewusstseinsstrom der Figuren. Die Zeit und das Zimmer. Zwei Minuten für zwei Sätze, so beginnt das Buch mit einer einzigen langen Impression aus Dämmerung und Hitze.
Das marode Herrenhaus in Oxford
Es ist der radikal moderne Faulkner Sound, den die neue Übersetzung von Nikolaus Stingl bravourös nachklingen lässt. «A tale full of sound and fury» hatte Faulkner als Motto aus Macbeth vor seinen Roman «Schall und Wahn» gesetzt.
«Trash», schrieb Faulkner nebenbei, in den zahlreichen Unterbrechungen der Arbeit am Text des Romans. Kurzgeschichten für Zeitungen, Drehbücher für Hollywood. 1000 Dollar die Woche verdiente er zeitweise dabei. Unterhalt für seinen aufwendigen Lebensstil und das marode Herrenhaus in Oxford. Den Nobelpreis erhält er erst 1950. Danach war er saturiert. «Rowan Oak» ist heute Museum.