«Absurde Fabel! Schrott und Langeweile! Sinnlos!», so lauten die Ablehnungssätze, wenn William Golding die Retouren seines ersten Romans aus der Post holt. Von 20 Verlagen wird das Manuskript des Volkschullehrers aus Cornwall abgelehnt, bis endlich ein Lektor bei Faber & Faber erkennt, womit man es zu tun hat.
Für 60 englische Pfund (etwa 1000 Euro damals) wird der Roman vom Verlag eingekauft, dessen erste Auflage 1954 annonciert. Wie nebenbei, ohne grosse Absichten.
Heute ist «Herr der Fliegen», das Lieblingsbuch von Stephen King, übersetzt in fast alle Sprachen, mehrfach verfilmt, mit Millionenauflagen weltweit. Es wird Pflichtlektüre an Schulen, bringt Ehrungen und Preise für den Autor.
Vom Geld aus Stockholm kaufte Golding eine Segeljacht, legt Wert auf standesgemässes Logis und die Anrede «Sir», als ihn die Queen in den Adelsstand erhebt.
Der Klang der Muschel
Ein Buch mit grosser Wirkung. Ein einziges für den Schriftsteller William Golding, der den Welterfolg dieser düstereren psychologischen Parabel nie wiederholen wird. Zwölf Kapitel hat der Roman, beginnend mit dem «Klang der Muschel» und endend mit dem «Geheul der Jäger».
Dazwischen ist die Geschichte eingespannt. Die Story von britischen Schülern, die im 2. Weltkrieg evakuiert auf einer unbewohnten Pazifikinsel notlanden, ganz auf sich gestellt. Allein in den Tropen und allein mit sich.
Rückfall in die Barbarei
Was tun? Die Antworten machen Skandal, in den 1950er-Jahren und noch heute. Es sind die Ungeheuer aus dem Schlaf der Vernunft, von denen «Lord of the Flies» berichtet. Aus dem Kampf gegen die Natur wird der Kampf unter sich, der Rückfall in die Barbarei unter der dünnen Haut der Zivilisation.
Erst geht es um Schutz und das nötige Mass Selbstorganisation in der Gruppe, dann nur noch um Macht und Gewalt. Aus Jungen werden maskierte Jäger und schon bald gibt es die Gejagten.
Ein schweres Stück negativer Anthropologie hatte Golding da in die optimistische Zukunftssicht seiner Zeit gewuchtet. Ein Solitär, der mal Recht bekommen sollte und wieder nicht und doch wieder, abwechselnd durch die Ansichten der Jahrzehnte. Der Streit um das Thema blieb.
Der Mann mit dem Megafon
1983, im Jahr des Nobelpreises, ist der Geehrte fast vergessen. Jetzt ist der Roman zurück. Unverwüstlich kommt der spannende Plot durch die Zeiten, aber der Sound der deutschen Übersetzung stimmte nicht mehr: Zu unbeholfen, zu wenig urban und nah am Original war die Übersetzung aus den 1960er-Jahren: «Wo ist der Mann mit dem Sprachrohr?» heisst es zu Beginn.
Im Original steht es anders, und «Megafon» steht es jetzt auch da. «Naturereignis» und «höhere Gewalt» steht nun für «Act of God», nicht «Hand Gottes» wie vorher. Religiös war «Herr der Fliegen» nicht gemeint, auch wenn der Titel leise auf den «Fliegengott» im «Faust» anspielt.
«Grob und langweilig»
Auch das, die Kunst der Titel: Alle Überschriften in diesem Roman sind Prägungen, die wirken und bleiben, ohne ihren Charakter gleich zu verraten. Und das im englischen Original und in der deutschen Übersetzung.
Leitmotive, die manchmal klingen wie die Titel im Gedicht und rätselhaft fortwirken: «Monster aus dem Wasser», «Monster aus der Luft», «Schatten und hohe Bäume», «Gabe an die Dunkelheit».
«Für grob und langweilig» hielt Golding selbst am Ende das Buch, das alles veränderte. 1993 ist er in Cornwall gestorben. Man sollte ihm nicht glauben.
Sendung: SRF1, Literaturclub, 13.12.2016, 22:25 Uhr.