Schon lange zählt Yasmina Reza zu den meistgespielten Theater-Autorinnen unserer Zeit. Mit der Verfilmung ihres Stückes «Gott des Gemetzels» von Roman Polanski mit Kate Winslet, Jodie Foster und Christoph Waltz in den Hauptrollen wurde sie einem breiteren Publikum bekannt.
In Anlehnung an den Titel ihres wohl bekanntesten Stücks nennt man sie inzwischen auch anerkennend die «Göttin des Gemetzels». Scharfzüngig und erbarmungslos bringt Reza die Komik und die Tragik unseres menschlichen Daseins auf den Punkt.
Auschwitz als Touristenattraktion
Auch ihr neuer Roman «Serge» verpackt Tragisches in einen mitunter komischen Ton. Aber obwohl der Autorin nichts heilig ist, trifft sie nie den falschen Ton.
Im Zentrum von «Serge» stehen die drei erwachsenen Geschwister Serge, Nana und Ich-Erzähler Jean, die sich nach dem Tod der Mutter immer mehr entfremden. Aber dann schlägt die Tochter von Serge im Zug ihrer eigenen Identitätssuche einen Besuch in Auschwitz-Birkenau vor, weil die ungarische Familie ihrer Grossmutter dort ermordet wurde.
Das Schweigen der Grossmutter
Die Grossmutter hatte nie über die Shoah sprechen wollen. Denn «sie hatte auf keinen Fall ein Glied in einer Kette sein wollen», und «um nichts in der Welt wollte sie Opfer sein.»
Die Geschwister reisen gemeinsam mit der Enkelin nach Polen, um «das Grab unserer ungarischen Vorfahren zu besuchen. Von Menschen, die wir nicht gekannt haben und von denen wir nie etwas gehört haben. Und deren Unglück auch das Leben unserer Mutter offenbar nicht erschüttert hatte.»
Die Distanz, die hier zum Ausdruck kommt, wird durch Rezas kühl-reportagehaften Schilderungen verstärkt. In «Serge» ist Auschwitz ist kein heiliger Ort, sondern vor allem eine Farce. Eine Touristenattraktion, wo die Besucher bei frühsommerlicher Hitze mit Einkaufstüten durch die ehemaligen Gaskammern hetzen, Fotos schiessen und Entsetzensbekundungen ausstossen.
Was bedeuten Gedenkstätten heute noch?
Reza zeigt – neben all dem Unvorstellbaren und Unaussprechlichen, das sie nicht ausspart – all die faulen Rituale, die im Namen der Erinnerung in Auschwitz zelebriert werden. «Von der Erinnerung ist nichts zu erwarten», heisst es an einer Stelle.
In Interviews ist zu lesen, dass Reza mit dem Aussterben der letzten Zeitzeugen die symbolische Bedeutung von Gedenkstätten als Orten der Erinnerung infrage stellt. Ein Ansatz, der auf den ersten Blick als Tabubruch betrachtet werden kann. Den sie aber literarisch konsequent verfolgt, indem sie radikal zeigt, wie sich der Alltag der Gegenwart vor die Vergangenheit schiebt und den Ort entweiht.
Der Besuch in Auschwitz gerät zu einem innerfamiliären Fiasko. Die Geschwister streiten bis zum echten Zerwürfnis. Die banalen Auseinandersetzungen einer Familie triumphieren über das Machtvolle und Geschichtsträchtige dieses Ortes.
Erinnern in der Literatur
Allerdings sagt Reza nicht, man solle sich gar nicht erinnern. Sie widmet ihren Roman dem Literaturnobelpreisträger Imre Kértesz und dessen Frau Magda, mit denen sie eng befreundet war.
Auch lesen die Figuren im Roman Isaac Bashevis Singer und Primo Levi – die Literatur ist für Reza der Ort für Erinnerung, der auch über das Aussterben der Zeitzeugen bleiben wird, wenn alle Zeitzeugen verstorben sein werden.