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Zu wenig Vielfalt Kinderbücher sollen mehr Farbe bekennen!

Wie viel Vielfalt steckt in unseren Kinderbüchern? Schockierend wenig, besagt eine Studie aus England. Und hierzulande?

Schwarze Kinderbuch-Heldinnen? Sie sind die Ausnahme. Laut einer aktuellen Studie aus England gibt es diese nur in einem von hundert Kinder- und Jugendbüchern, die im vergangenen Jahr erscheinen sind.

Im Buch: 1 Prozent, in der Schule: 32 Prozent

Nur in 4 Prozent der Geschichten kam überhaupt ein Charakter vor, der einer kulturellen Minderheit angehört – während das in britischen Schulzimmern auf fast jedes dritte Kind zutrifft. Schockierend seien diese Zahlen, sagt die Leiterin der Studie.

Die wichtigsten Resultate der Studie

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Für die Studie «Reflecting Realities» hat das Center for Literacy in Primary Education (CLPE) im Auftrag des Arts Council England 9115 im Jahr 2017 erschienene Kinderbücher darauf untersucht, ob und wie sie kulturelle Diversität repräsentieren. Das Resultat:

  • In 391 Büchern (4 %) gehörte eine Figur einer ethnischen Minderheit an. In nur 1 % die Hauptfigur.
  • Über die Hälfte der Bücher mit nicht-weissen Charakteren schilderten «gegenwärtige Realitäten». Jedes zehnte Buch «soziale Ungerechtigkeit», oft Krieg und Flucht.
  • Nur ein einziges Buch ging das Thema humorvoll an.

Zur Zeit läuft noch eine britische Parallelstudie. Sie untersucht die kulturelle Vielfalt unter den Autorinnen und llustratoren von Kinderbüchern.

Vergleichbare Zahlen für den deutschsprachigen Buchmarkt gibt es nicht. Den Befund, das es in Kinderbüchern wenig kulturelle Vielfalt gebe, könne sie aber aus ihrer Sicht klar bestätigen, sagt Barbara Jakob, Fachreferentin beim Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien (SIKJM).

Barbara Jakob

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Barbara Jakob ist Fachreferentin beim Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien (SIKJM). Ihr Schwerpunkt liegt auf Bilderbüchern und literaler Frühförderung bis zur Primarschule.

Webseite SIKJM

Im Vergleich zu anderen Formen gesellschaftlicher Vielfalt, etwa der Thematisierung von Geschlechterrollen, Familienbildern oder Behinderung, hinke kulturelle Diversität hinterher: «Obwohl sie die heutige Gesellschaft prägt, hat sie im Kinderbuch noch nicht stark Einzug gehalten.»

Video
LGBT im Kinderbuch: Es war einmal ein schwuler König
Aus Kultur Extras vom 17.05.2018.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 30 Sekunden.

Im deutschsprachigen Raum sei man den Briten voraus, was das Thema Vielfalt anbelange. Denn sowohl das Interesse als auch der Anteil an Übersetzungen sei auf dem hiesigen Kinderbuchmarkt viel grösser, sagt Sonja Matheson. Sie leitet den Verein Baobab Books, der sich für mehr Vielfalt in der Kinder- und Jugendliteratur einsetzt.

Sonja Matheson

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Sonja Matheson ist Programm- und Geschäftsleiterin bei Baobab Books, ein Verlag und Verein, der sich für mehr Vielfalt bei deutschsprachigen Kinder- und Jugendbüchern einsetzt.

Webseite Baobab Books

Aber: «Auch wenn die Zahl der Bücher, die Minoritäten, Randgruppen oder andere Kulturen abbilden in den letzten Jahren gestiegen ist – sie ist immer noch relativ gering.»

Zu oft ein Problem, zu selten lustig

Zwar kommen in Verlagsprogrammen immer wieder Protagonisten aus anderen Kulturen vor. Seit einigen Jahren nehmen etwa Flucht-Geschichten mehr Raum im Kinderbuchregal ein, als Reaktion auf die öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema.

So bringt Baobab mehr Vielfalt in den Kinderbuch-Markt

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Legende: Baobab Books/Ketty Bertossi.

Baobab Books verlegt und vermittelt Kinderbücher aus anderen Kulturen – und gibt über das Projekt Kolibri jedes Jahr eine Liste mit Büchern heraus, die Vielfalt abbilden.

Dazu sehen sich rund 25 Freiwillige in Lesegruppen neuerschienene deutschsprachige Kinderbücher an. Anhand bestimmter Kriterien und Fragen werden sie besprochen.

Empfehlenswerte Bücher werden in einer Online-Datenbank und im jährlichen Verzeichnis mit Buchtipps gesammelt. Von rund 8000 Neuerscheinungen wurden dieses Jahr 250 geprüft und 64 empfohlen.

  • Verzeichnis Kolibri 2018/2019, Baobab Books, ET: 31.8.18.

Doch das ist nicht unproblematisch. Manches sei gut gemeint, aber vermittle keine positive Botschaft, sind sich die Kinderbuch-Expertinnen einig.

Häufig werde Andersartigkeit nur als Problem abgebildet, nicht einfach als Basis einer guten Geschichte, sagt Barbara Jakob: «Interessant bei der britischen Studie fand ich, dass nur ein einziges Buch einen humorvollen Zugang zum Thema Vielfalt hat. Diese Leichtigkeit des Zugangs, die fehlt uns hier definitiv noch.»

Offene Seite eines Kinderbuchs.
Legende: Nicht alle Kinderbücher zeigen so viel Vielfalt: Eine Seite aus «Mein Weg mit Vanessa». SRF

Oft sind Kinderbuch-Charaktere aus anderen Kulturen also nicht die, die Probleme lösen, sondern die, die Probleme haben. Weshalb fehlen demgegenüber Geschichten, in denen Minderheiten selbstverständlich auftreten?

Ein komplexer Markt

Man dürfe nicht vergessen, dass die Bücher nicht im luftleeren Raum erscheinen, gibt Sonja Matheson von Baobab Books zu Bedenken: «Sie müssen geschrieben und verlegt werden, sie müssen verkauft und gekauft werden.»

Bei den Autorinnen und Autoren seien Personen in Minderzahl, die aus der eigenen Lebenserfahrung über Andersartigkeit erzählen können. Bei den Verlagen fehle oft der Mut, etwas auszuprobieren. Sie sind angewiesen auf Geschichten, die sich verkaufen.

Vielfältige Buchtipps der Expertinnen

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  • Barbara Jakob gefällt der witzige Zugang des Bilderbuchs «Alle da» von Anja Tuckermann: «Es zeigt humorvoll, auf welche Art man andersartig, aber trotzdem gleichwertig sein kann.»
  • Sonja Matheson meint: «Ein ideales Kinderbuch gibt es nicht. Denn es braucht unterschiedliche Ansätze, Themen und Charaktere nebeneinander.» Hier geht's zur Kolibri-Onlinedatenbank.
  • Corinna Fadelli vom Kinderbuchladen Zürich hat gleich einen Stapel Bücher bereit: Etwa «Mein Weg mit Vanessa» von Kerascoët, «Kalle und Elsa» von Jenny und Jesús Verona oder «Rosie und Moussa» von Michael de Cock.

Gut verkauften sich süffige, häufig rückwärtsgewandte Geschichten, sagt Barbara Jakob: «Es sind ja nicht Kinder, die Bücher kaufen, sondern Erwachsene: Lehrpersonen und Eltern. In deren Köpfen ist die vielfältige Gesellschaft vielleicht noch weniger präsent als bei den Kindern, die diese in der Kita oder Schule tagtäglich erleben.»

Eine andere Stimme hören

Gerade darum sei es wichtig, für mehr Vielfalt im Kinderbuchregal zu sorgen, sagt Sonja Matheson: «Unsere Gesellschaft ist vielfältig. Je nach Ort haben 25 bis 30 Prozent der Menschen keinen Schweizer Pass. Viele Kinder wachsen mehrsprachig auf, gehen hier zur Schule, leben aber auch in ihrer eigenen Kultur. Wenn wir dieses Viertel der Gesellschaft fürs Lesen begeistern wollen, müssen ihre Geschichten auch im Kinderbuch sichtbar werden.»

Ein Stapel Kinderbücher.
Legende: Kinderbücher spiegeln die Gesellschaft – und vermitteln Kindern deren Werte. SRF

Aber auch Kinder, die selbst keine Kulturkonflikte kennen, können so etwas über andere Werte und Normen erfahren: «Es ist wichtig, dass wir nicht nur unsere eigene Stimme hören.»

Dazu braucht es nicht nur mehr Kinderbücher, die mit Klischees brechen und Vielfalt in allen Facetten aufzeigen. Sondern vor allem auch mehr, die das auf eine unverkrampfte Art und unaufgeregte Weise tun.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 24.7.18, 17.20 Uhr

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