Schwarze Kinderbuch-Heldinnen? Sie sind die Ausnahme. Laut einer aktuellen Studie aus England gibt es diese nur in einem von hundert Kinder- und Jugendbüchern, die im vergangenen Jahr erscheinen sind.
Im Buch: 1 Prozent, in der Schule: 32 Prozent
Nur in 4 Prozent der Geschichten kam überhaupt ein Charakter vor, der einer kulturellen Minderheit angehört – während das in britischen Schulzimmern auf fast jedes dritte Kind zutrifft. Schockierend seien diese Zahlen, sagt die Leiterin der Studie.
Vergleichbare Zahlen für den deutschsprachigen Buchmarkt gibt es nicht. Den Befund, das es in Kinderbüchern wenig kulturelle Vielfalt gebe, könne sie aber aus ihrer Sicht klar bestätigen, sagt Barbara Jakob, Fachreferentin beim Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien (SIKJM).
Im Vergleich zu anderen Formen gesellschaftlicher Vielfalt, etwa der Thematisierung von Geschlechterrollen, Familienbildern oder Behinderung, hinke kulturelle Diversität hinterher: «Obwohl sie die heutige Gesellschaft prägt, hat sie im Kinderbuch noch nicht stark Einzug gehalten.»
Im deutschsprachigen Raum sei man den Briten voraus, was das Thema Vielfalt anbelange. Denn sowohl das Interesse als auch der Anteil an Übersetzungen sei auf dem hiesigen Kinderbuchmarkt viel grösser, sagt Sonja Matheson. Sie leitet den Verein Baobab Books, der sich für mehr Vielfalt in der Kinder- und Jugendliteratur einsetzt.
Aber: «Auch wenn die Zahl der Bücher, die Minoritäten, Randgruppen oder andere Kulturen abbilden in den letzten Jahren gestiegen ist – sie ist immer noch relativ gering.»
Zu oft ein Problem, zu selten lustig
Zwar kommen in Verlagsprogrammen immer wieder Protagonisten aus anderen Kulturen vor. Seit einigen Jahren nehmen etwa Flucht-Geschichten mehr Raum im Kinderbuchregal ein, als Reaktion auf die öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema.
Doch das ist nicht unproblematisch. Manches sei gut gemeint, aber vermittle keine positive Botschaft, sind sich die Kinderbuch-Expertinnen einig.
Häufig werde Andersartigkeit nur als Problem abgebildet, nicht einfach als Basis einer guten Geschichte, sagt Barbara Jakob: «Interessant bei der britischen Studie fand ich, dass nur ein einziges Buch einen humorvollen Zugang zum Thema Vielfalt hat. Diese Leichtigkeit des Zugangs, die fehlt uns hier definitiv noch.»
Oft sind Kinderbuch-Charaktere aus anderen Kulturen also nicht die, die Probleme lösen, sondern die, die Probleme haben. Weshalb fehlen demgegenüber Geschichten, in denen Minderheiten selbstverständlich auftreten?
Ein komplexer Markt
Man dürfe nicht vergessen, dass die Bücher nicht im luftleeren Raum erscheinen, gibt Sonja Matheson von Baobab Books zu Bedenken: «Sie müssen geschrieben und verlegt werden, sie müssen verkauft und gekauft werden.»
Bei den Autorinnen und Autoren seien Personen in Minderzahl, die aus der eigenen Lebenserfahrung über Andersartigkeit erzählen können. Bei den Verlagen fehle oft der Mut, etwas auszuprobieren. Sie sind angewiesen auf Geschichten, die sich verkaufen.
Gut verkauften sich süffige, häufig rückwärtsgewandte Geschichten, sagt Barbara Jakob: «Es sind ja nicht Kinder, die Bücher kaufen, sondern Erwachsene: Lehrpersonen und Eltern. In deren Köpfen ist die vielfältige Gesellschaft vielleicht noch weniger präsent als bei den Kindern, die diese in der Kita oder Schule tagtäglich erleben.»
Eine andere Stimme hören
Gerade darum sei es wichtig, für mehr Vielfalt im Kinderbuchregal zu sorgen, sagt Sonja Matheson: «Unsere Gesellschaft ist vielfältig. Je nach Ort haben 25 bis 30 Prozent der Menschen keinen Schweizer Pass. Viele Kinder wachsen mehrsprachig auf, gehen hier zur Schule, leben aber auch in ihrer eigenen Kultur. Wenn wir dieses Viertel der Gesellschaft fürs Lesen begeistern wollen, müssen ihre Geschichten auch im Kinderbuch sichtbar werden.»
Aber auch Kinder, die selbst keine Kulturkonflikte kennen, können so etwas über andere Werte und Normen erfahren: «Es ist wichtig, dass wir nicht nur unsere eigene Stimme hören.»
Dazu braucht es nicht nur mehr Kinderbücher, die mit Klischees brechen und Vielfalt in allen Facetten aufzeigen. Sondern vor allem auch mehr, die das auf eine unverkrampfte Art und unaufgeregte Weise tun.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 24.7.18, 17.20 Uhr