Makaber, aufwühlend, grotesk – das literarische Werk von Cormac McCarthy wirft ungeschminkte und verstörende Blicke auf die menschliche Existenz. Da wird vergewaltigt, gemordet und skalpiert. Figuren begehen Inzest. Andere werden zu Brandstiftern oder Kannibalen.
Er kenne keine andere Autorenperson, die sich «so intensiv mit der grossen Sinnfrage auseinandergesetzt» habe, sagt der deutsche Übersetzer Nikolaus Stingl. Er hat zahlreiche der gut zehn Romane von Cormac McCarthy ins Deutsche übersetzt.
«In seinen Romanen irren Sinnsucher durch ein Leben, das von grund- und regelloser Gewalt bestimmt ist». Jede Sinnsuche würde infrage gestellt: «McCarthys Bücher sind unglaublich hoffnungslos».
Einer der Grossen
Am 13. Mai ist Cormac McCarthy in seinem Haus in Santa Fe im Bundesstaat New Mexico verstorben, gut einen Monat vor seinem 90. Geburtstag. Cormac McCarthy gehört zu den ganz Grossen der US-amerikanischen Literatur. Er wurde oft in einer Reihe mit Autoren wie Philip Roth, Don DeLillo und Thomas Pynchon genannt. Zudem galt er als heisser Anwärter auf den Nobelpreis.
Allerdings meldeten sich immer wieder auch kritischen Stimmen: McCarthys Werk seien von einem hohlen Pathos durchdrungen und einseitig männlich. Tatsächlich finden sich in den Büchern nur wenige bemerkenswerte Frauengestalten. McCarthy schildert zumeist männliche Aussenseiter.
Späte Meriten
Der Schriftsteller selbst lebte zurückgezogen. Öffentliche Auftritte waren ihm ein Graus. In einem Interview mit der Talkshowmoderatorin Oprah Winfrey, einem der wenigen TV-Auftritte des Autors, zeigte er sich überaus zurückhaltend. Er mochte nicht über seine Romane sprechen. Was es zu sagen gebe, so erklärte er mit seiner sanften Stimme, stehe zwischen den Buchdeckeln.
Bis zum Erfolg war es ein langer Weg. McCarthy wurde 1933 in Rhode Island geboren und wuchs in Tennessee auf. Seinen Erstling «Der Feldhüter» über ein ungesühntes Tötungsdelikt veröffentlichte er 1965. Die Resonanz beim Publikum blieb bescheiden.
Einer breiteren Leserschaft wurde er erst 1992 mit «All die schönen Pferde» bekannt. Für das Epos über den Verlust des grossen amerikanischen Traums der grenzenlosen Freiheit erhielt McCarthy den «National Book Award». Nun endlich stellte sich auch der kommerzielle Erfolg ein.
Seine Werke spielten ab jetzt vorwiegend im wüstenhaften Südwesten der USA. Auch die Sprache veränderte sich. McCarthy habe «seine Bücher mehr und mehr verdichtet und Überflüssiges weggelassen», erklärt Nikolaus Stingl.
Dank Hollywood zum Welterfolg
Ein weiterer Grosserfolg wurde der Drogenthriller «Kein Land für alte Männer» – auch dank der mit vier Oscars ausgezeichneten Verfilmung durch die Gebrüder Coen 2007. Zu einem Weltbestseller geriet schliesslich das mit dem Pulitzer-Preis gekrönte dystopische Werk «Die Strasse» über ein Amerika nach dem Zusammenbruch der Zivilisation.
Mit Cormac McCarthy verliert die Literatur einen Ausnahmekünstler, dem es laut Nikolaus Stingl «immer um die ganz grossen Themen ging». Der Autor blieb bis ins hohe Alter ein schonungsloser Realist. Nie erlag er der Versuchung, seine Stoffe zu verklären.
Sein sprachlicher Stil war zwar extravagant und expressiv, blieb aber stets verständlich und präzis. McCarthy folgte selbst keinen Trends – und wurde, vermutlich gerade dadurch, selbst zum Trend.