Das Wichtigste in Kürze
- Die Geschichte des Jazz und des Rassismus in den USA sind miteinander verflochten.
- Viele Pioniere des Jazz engagierten sich gegen Rassismus und Diskriminierung.
- Heute ist die Jazz-Szene durchmischt. Doch im Publikum mangelt es noch immer an Vielfalt.
Bürger zweiter Klasse
Die Geschichte geht eigentümliche Wege: Jazz-Giganten wie Ella Fitzgerald, Dizzy Gillespie und Thelonious Monk wurden selbst auf dem Höhepunkt ihrer Karriere noch vielerorts in ihrer Heimat als Bürger zweiter Klasse behandelt.
Was damals ein Grund zur Diskriminierung war, gilt heute als Authentizitätsbonus. Jedenfalls in Japan: «Ich habe einen Freund dort, dem der Umstand, dass er Afroamerikaner ist, zu mehr Auftritten verhilft», erzählt Cécile McLorin Salvant.
«Jazz steht allen offen»
Die 27-jährige Sängerin sitzt im Wohnzimmer von Aaron Diehl. Die beiden afroamerikanischen Musiker treten häufig zusammen auf und leben auf verschiedenen Etagen im selben klassischen Backsteinhaus im New Yorker Stadtviertel Harlem.
Diehl schüttelt amüsiert den Kopf. «Das Schöne am Jazz ist doch, dass er allen offen steht – egal welche Hautfarbe, Herkunft oder Religion jemand hat», sagt der 31-jährige Pianist und Komponist. Er schwärmt vom indonesischen Klavier-Wunderkind Joey Alexander und vom sizilianischen Saxofonisten Francesco Cafiso.
Tatsächlich braucht man bloss einen Blick auf die Zusammensetzung von Ensembles zu werfen, um festzustellen, dass die Jazz-Szene der Gegenwart den Vereinten Nationen gleicht.
Kein Schwarz-Weiss-Filter
Dabei wissen Aaron Diehl und Cécile McLorin Salvant nur zu gut, wie eng die Geschichte des Jazz mit der Geschichte des Rassismus in den USA verbunden ist.
Manche ihrer Vorgänger – Nina Simone, Charles Mingus und Max Roach – machten den Kampf für die Rechte der Schwarzen zu einem Teil ihres Repertoires. Andere wie Duke Ellington vermieden es, öffentlich Stellung zu beziehen.
Junge schwarze Jazzerinnen und Jazzer wie Diehl und McLorin Salvant wollen aber vor allem eines: als Musiker und nicht als Vertreter einer bestimmten Gruppe wahrgenommen werden. Rassismus ist in ihrem Alltag durchaus ein Thema.
Doch wer sie und ihre Kollegen auf der Bühne durch den Schwarz-Weiss-Filter betrachtet, missversteht ihr Selbstverständnis und ihr Selbstbewusstsein als Künstler.
Musik einer Elite
Sorgen bereitet McLorin Salvant vielmehr der Mangel an Vielfalt im Publikum. «Wenn ich auftrete, sehe ich kaum junge farbige Menschen vor mir. Es ist, als hätten Schwarze in diesem Land ihre eigene Musik vergessen. Jazz ist zur Musik einer Elite geworden.»
Es fehlt Zeit und Geld
Aaron Diehl nickt. «Wir hatten das Glück, mit Musik aufzuwachsen», sagt er. Die Realität der meisten Afroamerikaner sieht anders aus. Vielen fehlt es schlicht an Zeit und Geld für kulturelle Vergnügungen.
Umso entschiedener verfolgen Cécile McLorin Salvant und Aaron Diehl ihr Ziel: Jazz soll wieder zu einer Musik für alle werden. Wo es auf der Bühne keine Grenzen mehr gibt, dürfe es für das Publikum erst recht keine geben.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Hörpunkt, 02.05.17, ab 9:00 Uhr