Alle sind sie gekommen. Mehrere Tausend Arbeiter versammeln sich in ihrer Betriebspause und wollen hören, was Nono aus den Geräuschen gemacht hat. Das brüllend laute Dröhnen und Zischen des Hochofens in ihrer Stahlfabrik hatte er aufgenommen. Jetzt stellt er ihnen seine Tonband-Collage vor. Anschliessend diskutieren die Arbeiter darüber, sie beginnen über ihre Arbeitsbedingungen nachzudenken .
«La fabbrica illuminata» heisst das Stück, das Luigi Nono Mitte der 1960er-Jahre den Stahlarbeitern in Genua widmet. Ein Paradebeispiel von Partizipation, würde man heute sagen. Hochmodern. Genau darum war es ihm immer gegangen: Luigi Nono machte Musik, um ein politisches Bewusstsein zu schaffen.
Komponist aus Zufall
Nono stammt aus einem venezianischen Bildungsbürgerhaushalt. Als er ein Jahr alt ist, wird Benito Mussolini zum faschistischen Diktator Italiens. Das prägt Nonos gesamte Entwicklung, ja sein ganzes Leben. Gegen Unterdrückung, Krieg und soziale Missstände will er kämpfen.
Dass er das als Komponist tut, ist nur ein Zufall, sagt er. Denn er findet Anschluss an die musikalische Avantgarde nach dem 2. Weltkrieg. Es ist die Zeit des grossen Aufbruchs. Eine junge Komponisten-Generation will auch musikalisch eine neue Welt errichten.
Die alten Expressionen haben ausgedient. Klare Strukturen müssen her, neue Komponier-Techniken, auch neue Hilfsmittel wie Elektronik.
Damals in Darmstadt
Ein wichtiges Zentrum der neuen Avantgarde, die sich formiert: das deutsche Darmstadt. Drei Komponisten werden bei den sogenannten «Darmstädter Ferienkurse für neue Musik» zu den zentralen Figuren: der Franzose Pierre Boulez, der Deutsche Karlheinz Stockhausen und der Italiener Luigi Nono.
Was zunächst als wunderbare und intensive Künstlerfreundschaft beginnt, ändert sich bald, Differenzen werden deutlich. Nono ist derjenige, der absolut nicht «l’art pour l’art» machen will wie die Kollegen.
Nono will raus aus dem Elfenbeinturm. Er will auf die Strasse, zu den Menschen. Und vertont zum Beispiel Abschiedsbriefe zum Tode verurteilter Widerstandskämpfer.
Mit Musik gegen die Missstände
Nono sagt, das Menschliche, das Politische lasse von der Musik sich nicht trennen. Er versucht immer dringlicher, den Finger auf soziale Missstände zu legen.
Mit allen musikalischen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, macht er das: wilden Orchesterimpulsen, Klängen an der Grenze zum Verstummen, mit Collagen, Elektronik oder Musik, die sich im ganzen Raum verteilt.
Sein Leben ist anstrengend, sein Musik-Machen auch. Letztlich zerbricht Luigi Nono vielleicht an seinem eigenen Anspruch. «Ich habe eine Selbstzerstörung an mir vorgenommen», wird er am Ende sagen. Als er mit Mitte 60 stirbt, hat er einsehen müssen, dass auch Musik keine Revolutionen auslösen kann.
Was von ihm bleibt? Seine kompromisslose Haltung. Sein Motto. Ascolta! Hör doch zu!