Seattle, im Nordwesten der USA: Knapp 740'000 Einwohner leben in der Metropole. Die «Emerald City» gilt als US-Hauptstadt der alternativen Bewegung und des Grunge.
Die Musik abseits des Mainstream wurde hier Ende der 1980er-Jahre geboren, laut und dröhnend, eine Mischung aus Hardcore, Punk und Metal. Sie war der Ausdruck einer zornigen Jugend. Und Kurt Cobain, der charismatische Nirvana-Frontmann, war die Galionsfigur dieser desillusionierten Szene.
Vor Nirvana sei das liberale Seattle ein kulturelles Mauerblümchen im Schatten von Boeing, Microsoft und Starbucks gewesen, sagt Jack Endino, einer der ersten Produzenten von Nirvana. «Nevermind» hat 1991 einen kommerziellen Boom in Seattles Musikszene ausgelöst.
«Eine abgefahrene Zeit»
Bands wie Pearl Jam, Radiohead, Mudhoney oder Soundgarden seien im Fahrwasser von Nirvana auf der Grunge-Welle mitgeschwommen. Damals hätten es viele dieser Bands aus Seattle bis in die Charts geschafft, erinnert sich Endino. Aus einer Nischenmusik wurde Mainstream: «Das war eine ziemlich abgefahrene Zeit!»
Das «Nevermind»-Album verkaufte sich innerhalb weniger Wochen rund zehn Millionen Mal, wurde mit Auszeichnungen und Awards rund um den Globus überhäuft. «Smells like teen spirit» geriet zur Hymne, Cobain zum Idol der frühen 1990er-Jahre: Schmuddellook, fettige Haare und Converse-Turnschuhe waren sein Markenzeichen. Das Verweigern von Rockstar-Attitüden, das Fehlen von Glamour und Glitter – all das gehörte zur öffentlichkeitswirksamen Stilisierung Kurt Cobains.
Schon das Plattencover war Anklage und Provokation zugleich: Ein nacktes, fröhliches Baby, das unter Wasser schwimmt und vergeblich nach einer Dollarnote greift, die an einem Angelhaken hängt: der Verlust der Unschuld durch Geld und Ruhm.
Albumcover auf der Anklagebank
Das Baby mit den entblössten Genitalien im azurblauen Schwimmbadwasser ist zu einer Ikone geworden. Gerade ist um das Cover ein Rechtsstreit entbrannt: Spencer Elden hat die noch lebenden Bandmitglieder, das Plattenlabel, den Fotografen sowie weitere Personen verklagt.
Der 30-Jährige ist das Baby auf dem «Nevermind»-Cover. Ihm zufolge sei er damals «zu kommerziellen sexuellen Handlungen gezwungen» worden, die Nacktdarstellung verstosse gegen US-Gesetze. Seine Eltern hätten der Veröffentlichung des Fotos niemals schriftlich zugestimmt.
Jetzt beschäftigt sich das Bundesgericht in Los Angeles mit dem Fall. Elden fordert von jedem der 15 Beklagten 150'000 US-Dollar Schadensersatz wegen «lebenslanger Schäden und sexueller Ausbeutung».
Widerstand gegen das Weichgespülte
Mit seiner charismatischen, von Schwermut gezeichneten Stimme elektrisierte Cobain sein Publikum: mal als sensibler Melancholiker, dann wieder als brachialer Schreihals. Cobain und seine Bandmitglieder, der Bassist Krist Novoselic und der Schlagzeuger Dave Grohl, probten den Aufstand gegen saubere, weichgespülte Rockmusik. Ihre Texte waren voller Gewaltfantasien.
Cobains meteorhafter Aufstieg aus ärmlichen Verhältnissen zur Rock-Ikone war kurz, schmerzvoll und revolutionär. Er geriet zum Niedergang eines von Depressionen, Magenschmerzen und Drogen zerfurchten Lebensweges. Ganze drei Studioalben veröffentlichten Nirvana, bevor sich Cobain 1994 das Leben nahm.
2004 wurde «Nevermind» von der Library of Congress in Washington DC in ihr Register aufgenommen – wegen der kulturellen, historischen und ästhetischen Bedeutung des Albums. Eine Ehre, die bisher nur wenigen Rockmusikern zuteil wurde.
Obwohl Nirvana Ruhm und Establishment verhasst waren: Die Band, Kurt Cobain und «Nevermind» gehören heute zum Kulturkanon.