Einfach alles sprach gegen diesen Abend: der Schrottflügel auf der Bühne, der übermüdete und schlecht gelaunte Star Keith Jarrett, die blutjunge und unerfahrene Veranstalterin Vera Brandes. Zudem regnete es natürlich auch noch, wie in einem schlechten Film Kurz: Rein gar nichts deutete darauf hin, dass dieser Abend eine Sternstunde werden sollte, die unwahrscheinlichste der Jazzgeschichte.
«You’re gonna be fucked, too!»
Dann der Kipp-Moment: Keith Jarrett sitzt bereits im Auto, um die Kölner Oper und diese Zumutung von einem Instrument hinter sich zu lassen – da taucht die damals 17-jährige Vera Brandes auf. Sie bekniet ihn förmlich, das Konzert trotz allem zu spielen. «If you don’t play, I’m truly fucked, and», bis heute unerklärlich, woher sie diesen Nachsatz nahm, «you’re gonna be fucked, too». Wenn du nicht spielst, dann bin ich echt aufgeschmissen – und du auch.
Keith Jarrett überlegt, die Zeit steht still, die Regentropfen verharren unschlüssig in der Luft. Dann lenkt er ein und gleich zwei Klaviertechniker kümmern sich stundenlang um den havarierten Stutzflügel, um ihn spielbar zu machen – die Aufnahme, die darauf entsteht, wird ein Millionenseller. Das erfolgreichste Solo-Piano-Album im Jazz bis heute. Eine Kultplatte, die Ende der 70er-Jahre in gefühlt jedem zweiten Haushalt steht.
Die Chemie stimmt
Es ist wie beim Zaubertrank in «Asterix & Obelix» – im Endergebnis nicht erklärbar, aber man kann die Zutaten aufzählen. Zunächst der Teenager Vera Brandes: So jung sie ist, sie hat dennoch einen ausgezeichneten Namen als Veranstalterin in Köln. Ihre Begeisterung steckt alle an, ihre jugendliche Unverfrorenheit scheint unwiderstehlich.
Dann der falsche Bösendorfer Konzertflügel: Der richtige steckt im Keller fest, der Hausmeister wurde zu spät informiert. Das Instrument ist zwar unspielbar, wird aber im Eilverfahren überholt. Der Sound bleibt limitiert und zwingt den Pianisten Keith Jarrett zu einer gewissen Spielweise: einfach, gospelig, viel Groove.
Der Antiheld am Piano
Und der Meister selbst? Keith Jarrett ist ein genialer Pianist, aber ein schwieriger Mensch. Oft genug schöpft er seine Kunst aus dem Leiden. Das bietet Köln: Schlechtes Essen, viel zu wenig Schlaf, ein minderwertiges Instrument – das sind Gegner, die eines Jarretts würdig sind. Er nimmt die Herausforderung an und triumphiert.
«Die Atmosphäre war so dicht, man hätte einen Kubus Luft rausschneiden können», erinnert sich Vera Brandes. Hat er sich für den Millionenseller je bei ihr bedankt? «Nein, hat er nicht.» Schade, man hätte es ihr gewünscht.