«Ich versuche immer noch herauszufinden, wie das funktioniert mit den schwarzen und weissen Tasten», lachte Ahmad Jamal, als ich ihn in Bern traf. Über 10 Jahre ist das her – aber Ahmad Jamal war mit 79 Jahren schon damals ein alter Mann und seit 65 Jahren im Geschäft. Also ziemlich geübt im Umgang mit besagten Klaviertasten.
Die Haltung, immer noch besser werden zu können und gleichzeitig das Kokettieren mit der eigenen Berühmtheit: Beides passt sehr zum einstigen Wunderkind und grossen Vorbild für Generationen von Musiker und Musikerinnen.
Eine Koryphäe der Kontraste
Ein grosser Bewunderer von Ahmad Jamal war zum Beispiel der geniale Trompeter Miles Davis. Er soll seine Bandkollegen an dessen Konzerte geschickt haben: «So möchte ich, dass wir klingen.»
Gemeint hat Miles damit vor allem die grossen Kontraste, die Ahmad Jamal so geschickt einsetzte: das sparsame und dann wieder dichte Spiel. Oder sein Umgang mit Dynamik, mit laut und leise.
Dazu dieses Gefühl von viel Raum. Ahmad Jamal lässt die Musik atmen, indem er immer sehr viel Platz lässt beim Spielen. Er selbst nannte es allerdings nicht «Platz», sondern «Disziplin». Man müsse die Regeln kennen, um frei zu sein, stellte er fest.
Jamal schlug neue Wege ein
Was für ihn ganz am Anfang, als neuer Stern am Pianisten-Himmel anfangs der 1950er-Jahre, auch hiess: Er musste anerkennen, dass es schon einen Art Tatum gibt, der mit halsbrecherischen Läufen und stupender Virtuosität beeindruckte. Oder einen Erroll Garner, der ebenfalls virtuos und dazu dicht und rhythmisch spielte.
Ahmad Jamal wählte also bewusst einen neuen Weg, legte sparsame Linien, arrangierte seine Trios präzise wie kleine Big Bands und erzielte etwa mit hingetupften Linien ganz oben auf dem Piano überraschende Effekte.
Er legte den Grundstein für viele nach ihm
Der Erfolg war überwältigend. Sein Live-Album «At the Pershing» von 1958 bleibt über 100 Wochen in den Charts. Seine Version von «Billy Boy» wurde zu einem Jazz-Standard. Ein Zwischenthema aus seiner Nummer «Pavanne» wurde zur Vorlage für den Hit «Impressions» des grossen Saxofonisten John Coltrane.
Es ist, als ob Ahmad Jamal mit seinem Frühwerk eine grosse Kiste mit Legosteinen für Generationen von Jazzmusiker nach ihm hingestellt hätte.
Dass er sich damit nicht begnügte, machte ihn zu einem der ganz Grossen. Er freute sich nicht nur, wenn andere sein Material toll fanden – «I’m a fan of Miles’. He’s a big fan of mine», schmunzelte er in Bern – er griff auch das Material seiner Zeitgenossen immer wieder auf, entwickelte sein Spiel weiter und lud dazu immer wieder jüngere Musiker in seine Bands ein.
Bei unserem Treffen in Bern schaute er bereits auf ein reiches Leben zurück – als Musiker und als Mensch. Er habe drei Familien geholfen, grosszuziehen, meint er. Jetzt freue er sich, wieder mehr Musik zu schreiben. Und er erfinde gerade seinen Zugang zum Piano neu.
Eben: «I’m still trying to figure out what the black and white keys do.» Gestern, am 16. April 2023, ist Ahmad Jamal 92-jährig gestorben.