Die Klang-Macht stand am Anfang des diesjährigen Festivals, denn das eröffnende dritte Klavierkonzert in d-Moll von Sergei Rachmaninow ist eines der klangmächtigsten Klavierkonzerte des Repertoires.
Der russische Pianist Denis Matsuev ist zudem ein Spezialist für Klaviermusik aus seiner Heimat – insbesondere für die üppigen und emotional überbordenden Werke von Rachmaninow.
Traumwandlerisch sicher
Rachmaninows drittes Klavierkonzert hat der 44-Jährige Matsuev in seiner Karriere gemäss eigenen Angaben schon mehr als 200 Male im Konzert gespielt, unter anderem 2013 schon einmal am Lucerne Festival.
Matsuev legt den enorm anspruchsvollen Solopart denn auch am Eröffnungskonzert 2019 mit traumwandlerischer Sicherheit hin. Bewundernswert, wie er scheinbar mühelos die vollgriffigen Akkordpassagen bewältigt. Beeindruckend, wie geschmeidig bei ihm das verschlungene Passagenwerk dahinströmt und wie natürlich die gesanglichen Melodien aufblühen.
Im Lyrischen gönnt er sich einiges an Freiheit, pflegt ein für diese Musik passendes «tempo rubato», ohne zu dick aufzutragen. Und er schafft mit zurückgenommenen, ganz verinnerlichten Pianostellen eine Intensität, die das Publikum in ihren Bann zieht.
Chailly setzt nicht auf triefenden Weltschmerz
Insgesamt geht Matsuev interpretatorisch in eine ähnliche Richtung wie der Chefdirigent des Lucerne Festival Orchestra Riccardo Chailly, der ebenfalls klare Konturen und eine optimale Durchhörbarkeit anstrebt.
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Chailly stellt das klangliche und formale Raffinement der Kompositionen in den Vordergrund und setzt nicht auf triefenden Weltschmerz, zu welchem Rachmaninows Musik nur allzu leicht verleiten könnte. An einigen wenigen Stellen sind sich die beiden im Tempo jedoch noch nicht ganz einig.
Wie gemacht für eine Eröffnung
Auch die dritte Sinfonie von Rachmaninow erweist sich als passendes Stück für die Eröffnung eines national wie international renommierten Klassikfestivals. Auch hier hat der Komponist klanglich opulent angerichtet, diese Sinfonie bietet ausgesprochen virtuose Orchestermusik.
Das Werk scheint somit wie massgeschneidert für das Lucerne Festival Orchestra, welches aus Stimmführenden berühmter europäischer Orchester und aus international renommierten Kammermusizierenden zusammengestellt ist.
Insbesondere im anrührenden zweiten Satz folgt ein Solo auf das andere. Die Orchestersolisten haben also beste Gelegenheiten, sich zu profilieren – als ob Rachmaninow im Jahr 1935 schon geahnt hätte, dass sich dereinst ein solches Spezialistenorchester konstituieren würde.
Er komponierte das Werk hauptsächlich in seiner Villa Senar in Hertenstein am Vierwaldstättersee, auch dieser Entstehungshintergrund könnte für das Lucerne Festival kaum passender sein.
Politischer Druck nicht hörbar
Es lässt sich allerdings kaum ausmachen, dass sich politischer Druck oder politische Macht auf Rachmaninows Musik ausgewirkt hätte: Seine dritte Sinfonie gleicht in ihrem spätromantischen Gestus, in vielen Wendungen, Orchestrierungskniffen und auch in formalen Details früheren Werken des russischen Komponisten, welche vor seiner Zeit im amerikanischen oder im Schweizer Exil entstanden sind.
Anders etwa als in der Musik des politisch verfolgten Dmitri Schostakowitsch, in welcher die Bedrohung durch das Stalin-Regime unüberhörbare Spuren hinterliess. Wie in dessen 10. Sinfonie, welche ebenfalls am diesjährigen Lucerne Festival zu hören sein wird.