Wie schon in den letzten Jahren an den Bayreuther Festspielen überragt auch diesmal die Leistung des Dirigenten. Der Zürcher Philippe Jordan leitete seine erste Premiere am grünen Hügel.
Der 42-Jährige wählt flotte Tempi. Und es gelingt ihm, die äusserst kunstvolle und teils sehr dichte Partitur der «Meistersinger» klar durchhörbar und pointiert zum Klingen zu bringen. Keine Spur von schwerem Pathos oder zähem Zelebrieren.
Jordan meistert die Akustik Bayreuths
Jordan zeigt in seiner Interpretation viel Liebe zum Detail, Sensibilität für die Klang- und Orchesterfarben, souveräne Übersicht in fast allen polyphonen Stellen. Und er lässt Wagners strukturierende Leitmotive prägnant, aber niemals aufdringlich aufscheinen.
Das alles ist bei diesem Stück und gerade in der speziellen Akustik des Bayreuther Festspielhauses mit seinem überdeckten Orchestergraben keineswegs selbstverständlich.
Einzig im Hinblick auf die ganze Oper könnten Philippe Jordan, der Chor und das Orchester der Bayreuther Festspiele bei den Orchesterkulminationen in puncto Lautstärke noch zulegen.
Hans Sachs – glaubwürdig interpretiert
Gut möglich, dass der Dirigent diesbezüglich für die Premiere noch besondere Vorsicht walten liess. Vielleicht wollte er auch die Sänger etwas schonen, denn sie haben in dieser rund viereinhalb Stunden dauernden Oper extrem kräftezehrende Partien zu bewältigen.
Allen voran die vielschichtige Rolle des Hans Sachs: Er ringt in ausführlichen Monologen mit seinen Gefühlen für Eva oder sinniert darüber, was Kunst ist oder darf. Michael Volle verkörpert diesen weisesten aller Meistersinger sehr glaubwürdig.
Trotz sängerischen Unstimmigkeiten: Klaus Florian Vogt überzeugt
Auch Klaus Florian Vogt ist mit seiner jugendlichen und unschuldig klingenden Stimme eine hervorragende Wahl für die Partie des unerfahrenen, aber kühnen Sänger-Naturtalents Walther von Stolzing.
Zart, innig und äusserst berührend singt er das zentrale Meisterlied. Seine emotionale Hingabe lässt die kleinen sängerischen Unstimmigkeiten schnell vergessen.
Fantasievoll und spielerisch ist Daniel Behle als Lehrbube David, imposant mit sonorem Bass Günther Groissböck als Veit Pogner. Anne Schwanewilms als dessen umworbene Tochter kann jedoch trotz passend schlanker Stimme nicht mit der Ausdruckskraft der anderen Hauptfiguren mithalten, zu unpräzise ist ihre Textgestaltung.
Viel schauspielerisches Talent zeigt Johannes Martin Kränzle als unerbittlicher Gesangskritiker Beckmesser. Er bewältigt eine Gratwanderung in dieser Neuinszenierung des australischen Opernregiestars und Komödienspezialisten Barrie Kosky.
Antisemitische Klischees
Denn nebst allen Anforderungen der Rolle hebt Kosky in aller Deutlichkeit üble antisemitische Klischees hervor, die Wagner in dieser Partie angelegt hat. Eindrücklich und gleichzeitig erschreckend gelingt dem Regisseur so das Ende des zweiten Aktes.
Dort wird Beckmesser mit Fäusten und einem Gemälde der ebenfalls judenfeindlichen Wagner-Gattin Cosima zusammengeschlagen und zu einer übergrossen, antisemitischen Karikatur gemacht.
Alle Männer sehen aus wie Wagner
Überhaupt fixiert sich Kosky auf die Hintergründe der «Meistersinger» sowie auf deren Rezeptionsgeschichte. Der rote Faden ist dabei, dass Wagner sich und einige seiner Wesensarten mittels der Rollen von Sachs und Stolzing selbst auf die Bühne gebracht hat.
Hier als souveräner und grosszügiger Musik-Grandseigneur, da als genialischer Revoluzzer. Bei Kosky sehen deshalb diese männlichen Hauptrollen aus wie Wagner und Eva wie Cosima.
Das Ganze spielt dementsprechend vorerst im Saal von Wagners Bayreuther Villa «Wahnfried», wo auch andere Mitglieder des Wagner-Clans auftauchen (Bühne: Rebecca Ringst). Im Zusammenspiel der Meistersinger im Renaissancelook (Kostüme: Klaus Bruns) ergeben sich durchaus witzige Szenen, Gags und viel überraschende Aktion auf der Bühne. Alles perfekt getimt zur Musik.
Die Sänger und Jordan halten die Spannung
Leider ist ab dem zweiten Akt die Luft grösstenteils raus, die Idee mit den Alter Egos nützt sich bald ab. Die Handlung spielt nun im Gerichtssaal der «Nürnberger Prozesse», als Reminiszenz an die nationalsozialistische Vereinnahmung der «Meistersinger» zur Propaganda.
In der Gestik bleibt Kosky zwar einfallsreich. Ansonsten wird viel herumgesessen und -gestanden.
Insgesamt also eine ziemlich brave Kosky-Inszenierung. Und der in dieser Oper ausgetragene Kunstdiskurs bleibt im Hintergrund. Zum Glück können Philippe Jordan und die Sänger die Spannung musikalisch halten.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 26.07.2017, 08:20 Uhr.