«Mein Leben hat die Musik gerettet», hat Coco Schumann immer wieder gesagt. Er meinte es wörtlich: Schumann überlebte Verfolgung, zwei Konzentrationslager und einen «Todesmarsch».
Der Autodidakt, der unter den Augen der Nazis in Berliner Kellern und Tanzlokalen auftrat und in Theresienstadt und Auschwitz auf Befehl der KZ-Wächter spielte, ist am Sonntag mit 93 Jahren in Berlin gestorben.
Die Gitarre in der Eisdiele
Lange weigerte sich Schumann, von seinem Schicksal als Holocaust-Überlebender öffentlich zu sprechen. Die Lager und die Angst hätten sein Leben verändert, schrieb er in seiner Biografie «Der Ghetto Swinger». «Aber die Musik hat es geführt, und sie hat es gut gemacht».
Schon mit fünf Jahren hatte Heinz Jakob Schumann, wie er eigentlich hiess, am Klavier gesessen. Bis er zufällig hörte, wie eine Gruppe Jugendlicher in einer Berliner Eisdiele Swing spielte.
Bühne und Bedrohung
Er widmete sich fortan der Gitarre und dem Schlagzeug, bald kamen Auftritte in Clubs und Tanzkellern. Eine französische Freundin soll ihm den Spitznamen Coco verpasst haben.
Dabei hatte der Sohn eines protestantischen Vaters und einer jüdischen Mutter Auftrittsverbot. Schumann ignorierte die Bedrohung, auf der Bühne nahm er sich den «gelben Stern», das Zwangskennzeichen für Juden, ab. Der Druck wurde aber immer stärker.
Denunziert und deportiert
Bei einer Razzia stellte sich der Jazzer freiwillig der SS, die ein Lokal nach Juden absuchte. Ein Zuhörer aus dem Publikum versuchte zu flüchten, Schumann stellte sich dazwischen.
«Wenn Sie ihn verhaften, dann sollten Sie mich wohl auch verhaften», habe er einem Offizier gesagt. «Erstens bin ich Jude, zweitens bin ich minderjährig und drittens spiele ich Jazz.»
Der SS-Mann glaubte ihm nicht. Doch auch Schumann blieb der Verfolgung ausgesetzt. 1943 wurde er denunziert und in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert.
«La Paloma» in Auschwitz
Dort ordneten ihn die Aufpasser eine Gruppe von Roma-Häftlingen zu, mit denen er als «Ghetto Swingers» für die Wächter Konzerte geben musste. Im September 1944 kam er mit der Band in das Vernichtungslager Auschwitz, wo er für Neuankömmlinge und beim Abmarsch der Arbeitskolonnen musizieren musste.
Zur Unterhaltung der deutschen KZ-Wärter spielte er «La Paloma», während in den Gaskammern die Häftlinge ermordet wurden. Nur drei der 16 Bandmusiker überlebten. Schumann wurde während eines «Todesmarschs» von den US-Truppen befreit.
Rückkehr nach Deutschland
Der Musiker kehrte nach Berlin zurück. Als erster in Deutschland spielte er auf der E-Gitarre, die er aus seiner Akustikgitarre weiterentwickelt hatte. Er trat mit dem Jazz-Geiger Helmut Zacharias und dem Pianisten und Sänger Bully Buhlan auf, spielte im Radio und nahm Schallplatten auf.
1950 wanderte Schumann mit seiner Frau und seinem Sohn nach Australien aus, kehrte vier Jahre später aber wieder zurück und knüpfte an die frühen Erfolge an.
Schumann trat im Heinz-Erhardt-Film «Witwer mit fünf Töchtern» auf, spielte Rock’n’Roll und ging mit Roberto Blanco auf Tour. Mit seinem Coco Schumann Quartet feierte er internationale Erfolge, liess sich von Kreuzfahrtschiffen engagieren. Noch mit 90 machte er Jazz. Aufhören wollte er nie.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 29.1.2018, 16:30 Uhr