Das Berner Duo macht Halt in den Hauptstädten (Brüssel, London, Berlin, Warschau), aber auch bei geografischen Aussenposten (Rimini, Island, Grauholz). Ähnlich wie einst die Adligensöhne im 17. und 18. Jahrhundert ihre «Grand Tour», ihre Bildungsreise, absolvierten. Jedem Ort ist ein Song gewidmet. Und jeder Song ist eine Wanderung zwischen Literatur, Musik und Performance.
In Berlin etwa treffen Fitzgerald & Rimini am Teufelsberg auf die Trümmer der Geschichte unter der Erde und fragen sich: «Wann zerstören wir? Die Ruinen von morgen stehen hier.» In Rimini erleben sie die Tristesse der winterlichen Nachsaison, ein Spiegel der eigenen Sinnsuche.
In Istanbul beobachten sie auf der Fähre zwischen Europa und Asien die Pendler: den Fenerbahce-Fan, die chinesische Touristin, den Taksim-Platz-Demonstranten und den Börsen-Trader. In Brüssel tauchen sie in das Sprachbad der Eurokraten ein – und zwar im japanischen Restaurant an der Rue Américaine. Was für ein Kuddelmuddel!
Zwischen lärmigem London und stillem Grauholz
Europa ist ein lauter, chaotischer, unüberschaubarer Kontinent. Bedroht und bedrohlich. Vielsprachig und vielstimmig. Der Blick auf dieses Europa kommt von mittendrin und doch von aussen: aus der Schweiz nämlich.
Das Duo sucht, beobachtet, bestaunt die Realitäten des Ausserschweizerischen und findet Menschen, Schicksale und Stimmungen. Beispielsweise Milly, einen weiblichen Hooligan im Londoner Stadtteil Bermondsay, deren Geschichte sie in einem Punk-Rock-Song erzählen.
Auf dem Heimweg dann, im Stau am Grauholz vor Bern, «ds Ruusche vom Kontinänt» noch im Kopf, die überraschende Erkenntnis: «Die Rue hie isch nid gschpiut.» Die Schweiz als Gegenmodell?
Und doch, mit etwas Fantasie hört man am Grauholz noch immer den Schlachtenlärm von 1798 – Blut, Schreie, Schmerz. Vor 200 Jahren war Krieg in der Schweiz – seither nicht mehr – aber wer weiss, was kommen wird? Jederzeit kann es auch uns wieder treffen. Das Eis ist dünn, auf dem wir uns bewegen.
Naturforschende und Spoken-Word-Avantgarde
Fitzgerald & Rimini stehen als Naturforschende des 19. Jahrhunderts vor dem heutigen, mit Leintüchern verhüllten Rhonegletscher. Vom Berg herab, mit Theodolit und Balgenkamera, vermessen und erfassen sie Europa – so kann man das Coverfoto der CD deuten. Die elf Orte haben die beiden tatsächlich besucht und erlebt. Die entstandenen elf Stücke sind zweifellos avantgardistisch, aber sie ertrinken zum Glück nicht im Tiefsinn.
Mit eindringlicher, unterkühlter Stimme performt Ariane von Graffenried ihre intelligenten Texte in Berndeutsch, Französisch, Englisch oder Hochdeutsch – gerne auch in atemlosem Sprachmix. Ihre Text-Performance mischt sich mit den Klängen und Geräuschen, die Robert Aeberhard im Hotellift in Rimini, bei den Pilgern in Santiago de Compostela und in der Weite Islands mit dem Mikrofon eingefangen hat.
Diese Field Recordings verarbeitet er, unterstützt von einer Handvoll Schweizer Musikerinnen und Musikern, zu eindringlicher Musik: Sanfte Bläsersets, Gesangs-Chörli, klappernde Alteisen-Perkussion. Am meisten jagen einen harte Gitarrenriffs und treibende Beats zwischen Melancholie und Aggression hin und zurück.
Das ist keine Easy-Listening-Musik, dazu lässt sich nicht einmal locker kochen oder bügeln. Die «Grand Tour» ist die Verführung zu einem Hörerlebnis zwischen progressiver Musik und Spoken-Word. Es lohnt sich hinzuhören!