Als ich während meiner Marokkoreise mit meiner vierjährigen Tochter auf einem Spielplatz stand, war es für sie nicht leicht, mit den marokkanischen Kindern Kontakt aufzunehmen. Bis sie «Aramsamsam» anstimmte – und die anderen Kinder mit einstimmten.
«Aramsamsam» findet sich auch auf dem neuen Kinderlieder-Album von Helene Fischer. Seit es Anfang November erschienen ist, hat sich um das Lied eine Debatte entfacht: Das Lied würde die arabische Sprache verballhornen und sei deswegen zu vermeiden.
Was in dieser Diskussion oft vergessen geht, ist der marokkanische Ursprung des Lieds. Der Fantasie-Anteil im Text ist je nach Quelle unterschiedlich hoch: «Aramsamsam» etwa ist Kauderwelsch. Aber «Guli» könnte «sag mir» im marokkanischen Dialekt Darija bedeuten. Und «a rafiq» (mancherorts «Arabi» gesungen) heisst «ein Freund» oder «ein Gefährte» auf Arabisch.
Von Marokko aus um die Welt
Von Marokko aus verbreitete sich das Lied in die ganze Welt und taucht heute auf kroatischen, türkischen oder amerikanischen Kinderlieder-Playlists auf. Wer es wo komponiert hat, ist unbekannt. Der marokkanisch-schweizerische Musiker Samir Essahbi erzählt, dass er es schon als Kind in den 1960er-Jahren in Marrakesch in der Schule gelernt hat.
Beim Import des Liedes haben sich jedoch ein paar Klischees eingeschlichen: Das Wort «a rafiq» wird hierzulande oft als «Arabi» gesungen. Um dies gestisch zu untermalen, wird dazu eine Bewegung gemacht wie beim muslimischen Gebet – und hier wird es problematisch.
Orientalistisch umgedeutet
Statt von kultureller Aneignung zu sprechen, greift hier das Konzept des Orientalismus, das der Literaturwissenschaftler Edward Said in den 1970er-Jahren populär gemacht. Er umschreibt damit den vereinfachenden, westlichen Blick auf die arabische Welt.
Nicht nur die Gebetsbewegung in der Choreografie könnte auf muslimische Menschen abwertend und als Karikatur ihrer Religion wirken, sondern auch die Bildwelt mancher Musikvideos mit fliegenden Teppichen, Kamelen und Schlangenbeschwörern. In manchen Adaptionen wird «Aramsamsam» also zur Projektionsfläche für das vermeintlich Exotische.
Helene Fischer greift solche Referenzen in ihrer Version übrigens nicht auf. Sie singt zwar «Arabi», übernimmt aber in einem TikTok-Clip nicht die Gebetsgeste, sondern legt die geschlossenen Hände wechselseitig links und rechts an die Wange – so wie auch in vielen Versionen aus arabischen Ländern.
«Aramsamsam» steht also nicht per se in einer Reihe mit Liedern wie «Drei Chinesen mit dem Kontrabass» oder «C A F F E E», bei denen rassistische Abwertungen aus einer überlegenen Perspektive den Kern des Liedes bilden. Im Gegenteil: Es ist eines der wenigen Lieder im hiesigen Kinderlieder-Standard-Repertoire, das aus dem globalen Süden stammt.
Aber gerade in einer postmigrantischen Gesellschaft stehen Musikerinnen, Kita-Personal und Eltern in der Verantwortung, die Klischees zu hinterfragen, die dem Lied im Laufe seines globalen Erfolgskurses aufgedrückt wurden.
Die aktuelle Debatte könnte also ein Anlass sein zu differenzieren und sich bewusst für eine Interpretation und Choreographie zu entscheiden, bevor man «Aramsamsam» aus voller Kehle singt. Wie man den Ohrwurm später wieder los wird, ist eine andere Frage.