Einmal im Jahr wirkt der goldene Saal im Wiener Musikverein noch goldener als sonst. Dann, wenn jeweils am 1. Januar die Wiener Philharmoniker aus einem Blumenmeer hinaus ihre Neujahrsgrüsse verschicken. Walzer, Galopps zum Besten geben, zweieinhalb Stunden lang. Die «G’schichten aus dem Wienerwald», den Donau-Walzer.
Das, was das Repertoire für das Neujahrskonzert halt so vorsieht. 2014, im 100. Jahr nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs auch einen so genannten «Friedenspalmen»-Walzer von Josef Strauss. Ein Walzer, bei dem, wie sich zeigte, die dunkleren Zwischentöne genauso dezent und kaum hörbar in den musikalischen Goldlack einkomponiert sind, wie bei fast jedem anderen neujahrstauglichen Walzer.
Neujahrskonzert versetzt in Champagnerlaune
Bedeutsamer in seiner Symbolik war heuer die Wahl des Dirigenten. Mit Daniel Barenboim hat Wien einen Musiker gefunden, der sich explizit für den Friedensprozess im Nahen Osten einsetzt. Das weiss man. Doch es spielte am Konzert selbst aber keine weitere Rolle. Denn über solche symbolischen Gesten hinaus wollen die Verantwortlichen nicht gehen. Man will ja schliesslich nicht die Champagnerlaune trüben, mit der sich das Publikum im Goldenen Saal und vor dem Fernseher eingefunden hat. Das Neujahrskonzert soll Stimmung machen. Gute Stimmung.
Tatsächlich ist es immer wieder anregend zu hören, mit welcher Eleganz und elastischen Leichtigkeit dieses Orchester Jahr für Jahr einem abgegriffenen Repertoire neues Leben einzuhauchen vermag. Wie hier ein Akzent als Glücksversprechen in die Luft wirbelt. Wie da die Finger für ein Glissando über die Streichinstrumente gleiten und man als Zuhörer seinen Tanzfuss über ein imaginäres Parkett gleiten spürt. Sie können es, die Wiener, Walzer spielen. Das geht bestens geölt über die Bühne.
Damen im Orchester
Im Orchester sitzen Frauen. Eine sogar ganz vorne neben dem Konzertmeister. Einmal sind in der TV-Übertragung sogar drei Geigerinnen gleichzeitig im Bild zu sehen. Eine Harfenistin. Das ist darum erwähnenswert, weil es die Wiener Philharmoniker mit der Chancengleichheit von Frau und Mann nicht so genau nehmen wie die meisten anderen Orchester.
Damen also im Orchester. Der Dirigent verteilt den Musikerinnen am Schluss Rosen, bevor es an die Zugaben geht.
Daniel Barenboim dirigiert zum zweiten Mal das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Auswendig. Was zumindest bei einer Abfolge von zwanzig ähnlich klingenden Stücken schon mal eine Leistung ist. Barenboim aus den Handgelenken dirigierend. Der Dirigent freundlich lächelnd. Sein Taschentuch aus der Hosentasche ziehend. Schweiss. Barenboim das Orchester anheizend. Gerne die Arme zur grossen Schlussgeste ausspreizend. Und dann der Barenboim-Blick, erst ins Orchester, dann ins Publikum: Etwas müde, ernst, eine kleine Ergriffenheit in den Augen und ein gütiges, väterliches Lächeln, bevor es mit dem nächsten Walzer weitergeht.
Musikalisch nicht so interessant, dafür ernsthaft
War da doch etwas besonderes zu hören? In der «Carolinen-Galoppe», im Radetzky-Marsch? Oder wohnt schon dem gemeinsamen Hören zum Jahresbeginn so etwas wie eine Botschaft inne? Des Gemeinsamen, der Kultur, des was noch? Barenboim ist der Mann, um dem Neujahrskonzert vielleicht nicht den musikalisch interessantesten Stempel aufzudrücken. Wie sollte das auch möglich sein, bei dem immer gleichen Programm? Aber er ist der Mann, um dem Anlass wenigsten symbolisch eine kleine Ernsthaftigkeit zu geben.